Foto: Erhard Stackl
Foto: Erhard Stackl

Gestern hat mich eine lebende Legende besucht: Hugo Blanco aus Peru, der in den frühen 1960er-Jahren in seiner Heimatregion Cusco einen Bauernaufstand für die Landreform und gegen das Latifundienwesen anführte. Die Quechua sprechenden Bauern bildeten „bewaffnete Komitees“ zu ihrer Verteidigung. (Das Wort „Guerilla“ mag Blanco nicht so sehr; es beschreibt eine ihm meist zu sektiererische Organisationsform.) Er wurde verhaftet und mit der Todesstrafe bedroht, was eine internationale Solidaritätswelle auslöste. Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, aber auch Che Guevara setzten sich für ihn ein; das Strafmass wurde auf 26 Jahre, Haft, abzusitzen auf der Gefängnisinsel El Fronton. 1970 freigelassen, ging er, u.a. nach Schweden, ins Exil, kehrte 1975 nach Peru zurück und wurde ins Parlament gewählt. Vom peruanischen Militär wurde Blanco vorübergehend neuerlich ins Exil vertrieben. Doch in seinen Schriften und Vorträgen wurde Blanco, der in den 1960-Jahren in Argentinien Agrarökonomie studiert und dort die trotzkistische Linke kennengelernt hatte, zu einem international bekannten  Verfechter der Rechte indigener Bevölkerungen, nicht nur Lateinamerikas.

Nach Europa ist der mittlerweile 75-Jährige auf Einladung britischer „Ökosozialisten“ gekommen, für die er eine Reihe von Vorträgen hielt (ecosocialistnetwork.org). Der Kampf der Indigenas sei ja auch ökosozialistisch, auch wenn sie diesen Namen nicht verwendeten, sagte mir Blanco. Sie kämpften gegen die Zerstörung der Natur durch ungehemmten Bergbau oder durch Ölbohrungen, gegen den Raubbau an Wäldern oder die Ausbeutung von Wasservorräten für die Agrarindustrie, die in Peru beispielsweise Spargel oder Artischocken für den Export produziere. Als sozialistisch werde oft die Form des Zusammenlebens in den indigenen Gemeinschaften bezeichnet. (Im nebenan verlinkten Youtube-Video erzählt Blanco mit englischer Übersetzung vom Besuch einer schwedischen Gruppe bei einer indigenen Gemeinschaft. Als sie seiner Tochter sagten, sagten, das sehe „wie Sozialismus“ aus, erwiderte diese, es sei umgekehrt, denn diese Gemeinschaften gab es schon „10.000 Jahre bevor die Großmutter von Karl Marx geboren wurde“.)

Die Regierungen wollten diese traditionellen Gemeinschaften zerstören, dennoch hätten sie sich in etlichen Gebieten, in Kolumbien, in Panama und vor allem die Zapatisten im Süden Mexikos, zu überkommunalen Vereinigungen zusammengeschlossen, die nach Selbstverwaltung streben.

"Pachamama" kein Geschwätz

Hugo Blanco vertritt auch mit Nachdruck die Idee der Pachamama, des Lebens im Einklang mit der Mutter Erde, das im Juni beim alternativen Klimagipfel im bolivianischen Cochabamba gefordert wurde. Er verteidigt dieses Konzept gegen linke Aktivisten, die darin bloß „indigenistisches Geschwätz“ sehen, weil man nicht zu den landwirtschaftlichen Methoden der Vergangenheit zurückkehren könnte.

Seiner Meinung nach lebt die 10.000 Jahre alte Tradition weiter fort: „Die indigenen Bauern wüssten, wie man die Natur kultiviert, ohne sie zu zerstören. Die Agroindustrie zerstört die Böden mit der Monokultur, mit Chemikalien und all dem.“ Die Indigenas nutzten die schonende Fruchtwechselwirtschaft und verwendeten vor allem natürlichen Dünger.

Wenn sich die Menschheit den multinationalen Konzernen überlasse, werde sie ihrem Untergang entgegen gehen. „Das sage nicht ich“, versichert Blanco, „auch die Vereinten Nationen haben festgestellt, dass die globale Erwärmung zunimmt.“

Die von Multis beherrschte Welt sei nicht imstande, diese Entwicklung aufzuhalten. „In Kopenhagen gab es Null Übereinstimmung, in Kioto kam vorher zumindest etwas heraus. Beim Gipfel zu Jahresende in Cancun wird wieder Null herauskommen. Und die globale Erwärmung ist überall zu spüren, auch im peruanischen Cusco, meiner Heimat. Ein Fluss hat dort einen ganzen Ort weggeschwemmt. Und dann die schrecklichen Dinge, die in Pakistan geschehen sind…“ Das seien keine Naturkatastrophen, sondern Folgen des Klimawandels, glaubt Blanco.

„Wenn das so weiter geht, wird die Menschheit keine hundert Jahre mehr bestehen.“ Deshalb gehe es in diesem Kampf „um die Rettung der Menschheit“.

Ein britischer Unternehmer habe sich bereit erklärt, viele Millionen für den Klimawandel zu spenden, doch Umweltschütze hätten ihm gesagt, dass er ihn mit seiner Fluglinie selbst beschleunige. „Was soll ich tun“, hätte der Unternehmer gesagt, „wenn ich sie einstelle, werden die Strecken eben von British Airways übernommen.“ 

Blanco: „Wenn ich als Kapitalist eine umweltschädliche Fabrik schließe, kommt ein anderer und macht sie wieder auf. Es gibt aber kein Komplott böser Kapitalisten, es ist das System, das uns in seinem Räderwerk gefangen hält.“

In Peru sei der indigene Widerstand voriges Jahr mit einem Massaker beantwortet worden, ausgerechnete am Tag der Umwelt, dem 5. Juni. Bei der Ortschaft Bagua im Norden Perus hatten dort Indigenas der Awajun und Wami die Straßen blockiert. Sie wollten verhindern, dass ausländische Firmen die Flüsse verschmutzen und die Amazonaswälder abholzen. Die Polizei soll von Hubschraubern aus auf sie geschossen haben. Laut der Nachrichtenagentur Reuters gab es drei Dutzend Tote.

Hugo Blanco betont, dass die Gesetzesdekrete, mit denen Perus Präsident Alan Garcia die Öffnung der indigenen Gebiete anordnete, verfassungswidrig waren. Denn Peru habe die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ratifiziert. Darin heißt es zum Schutz der indigenen Völker im Artikel 15, Absatz 2:

In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält, haben die Regierungen Verfahren festzulegen oder aufrechtzuerhalten, mit deren Hilfe sie die betreffenden Völker zu konsultieren haben, um festzustellen, ob und in welchem Ausmaß ihre Interessen beeinträchtigt werden würden, bevor sie Programme zur Erkundung oder Ausbeutung solcher Ressourcen ihres Landes durchführen oder genehmigen. Die betreffenden Völker müssen wo immer möglich an dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden. 

„Manche Kämpfe der Indigenas wurden aber auch gewonnen“, sagt Blanco und erinnert an den Sieg der Bewohner von Tambo Grande über die kanadische Firma Manhattan Minerals im Jahr 2002. Die Kandier hatten den Plan, dort im Tagbau nach Gold zu schürfen. 16000 Ortsbewohner hätten umgesiedelt werden müssen; dafür hätte es ein paar hundert Arbeitsplätze gegeben. Als dort ansässige Bauern sich weigerten, hätte die Firma erklärt, dass es auf dem gebiet der Mine fast nur Wüste gebe. Daraufhin kamen kanadische Umweltschützer nach Tambo Grande, fotografierten die blühende Landwirtschaft und gestalteten mit den Bildern in Kanada Ausstellungen. Gleichzeitig wurde in Tambo Grande ein Referendum abgehalten, in denen die Bevölkerung gefragt wurde, ob sie mit der Errichtung einer Mine im Stadtgebiet einverstanden ist. Die 27.000 Einwohner lehnten dies, bei mehr als 90% Wahlbeteiligung, mit Dreiviertelmehrheit ab.

„Mit internationaler Solidarität haben die Bewohner von Tambo Grande das erreicht“, sagte mir Hugo Blanco am Mittwoch bei unserem Gespräch. Und diese Methode funktioniere auch anderswo, etwa in Indien. Im indischen Bundesstaat Orissa kämpfte das indigene Volk der Dongria Kondh dagegen, dass auf den ihnen heiligen Niyamgiri-Bergen die britische Firma Vedanta Ressources das Aluminiumerz Bauxit abbaut. „Wir sind Menschen des Berges, wenn wir anderswo hingehen, werden wir sterben“, war ihr Botschaft, die von der NGO „Survival“ in die Welt getragen wurde. Inzwischen kann die mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete NGO auf ihrer deutschsprachigen Website melden: „Die Dongria Kondh haben einen historischen Sieg um ihr Land und ihre Wälder errungen.“

„Ich vertraue auf die Solidarität der Europäer“, sagte mir Hugo Blanco. Ermutigend sei auch die wachsende Protestbewegung gegen den Neoliberalismus, die die Wirtschaftskrise unter den Europäern ausgelöst habe. Aus seiner Sicht ziehen sie am selben Strang wie die um ihre Lebensweise kämpfenden Indigenas im Amazonasgebiet. Mithilfe eines Übersetzers habe ihm eine Angehörige eines dieser kleiner Völker in ihrer Sprache folgendes gesagt: „Wir kämpfen um unser Leben, weil der Amazonas unser Leben ist. Und wir kämpfen für die Menschheit, weil das Amazonasgebiet die Lunge der Welt ist.“