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'Mutter mit zwei Kindern III' von Egon Schiele

 

 

Foto: APA/SCHIELE/BELVEDERE

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Kaum ein anderer Fall ist so komplex wie Egon Schieles Mutter mit zwei Kindern III, das die Österreichische Galerie 1951 um 20.000 Schilling erwarb. Denn handelt es sich überhaupt um einen Restitutionsfall? Und wenn ja: an wen muss das Bild zurückgegeben werden?

Die Israelitische Kultusgemeinde vertritt die Auffassung, dass Mutter mit zwei Kindern III an die Erben nach Jenny Steiner restituieren sei. Die Unternehmerin, die in Wien eine Seidenmanufaktur besaß, hatte drei Töchter: Klara Mertens, Daisy Hellmann und Anna Weinberg. Die Erben nach Klara Mertens wie auch die Erben nach Daisy Hellmann werden von der Israelitischen Kultusgemeinde repräsentiert. Und diese beauftragte den Anwalt Martin Maxl.

Die Erbin nach Anna Weinberg hingegen wird von Alfred Noll vertreten. Sie ist der Meinung, dass ihre Tanten Klara Mertens und Daisy Hellmann nicht erbberechtigt seien. Denn Jenny Steiner schenkte das Bild ihrer Mutter, eben Anna Weinberg.

Agnes Husslein-Arco, die Direktorin des Belvedere, hingegen bestreitet, dass es sich um einen Restitutionsfall handelt. Sie kündigte an, eine allfällige Restitution nicht akzeptieren zu wollen: Sie werde mit allen Rechtsmitteln um den Verbleib des Bildes "kämpfen". Der Anwalt des Belvedere ist Ernst Ploil.

Doch der Reihe nach. Martin Maxl legt den Fall leicht verständlich dar. Er schreibt unter dem Titel Von Geist und Buchstaben der Restitution, erschienen am 5. Oktober 2010 als Kommentar der anderen im Standard:

"Jenny Steiner flüchtet im Juni 1938 aus Wien und überlebt die Herrschaft der Nationalsozialisten in New York. Am 9. November 1950 wurde ihrem Rechtsanwalt aufgrund eines Rückstellungsvergleiches das Gemälde Mutter mit zwei Kindern III übergeben. Sieben Tage nach dieser Übergabe sprechen sich Bundesdenkmalamt und Belvedere telefonisch (wörtlich) über ,Gegenmaßnahmen‘ ab. Das Bundesdenkmalamt eröffnet einen Akt zur Zahl 10.601/50. Einige Tage später fragt dann das Bundesdenkmalamt beim Belvedere schriftlich an, ob im Fall eines ,Ausfuhransuchens der Frau Jenny Steiner (...) die Ausfuhrbewilligung zu erteilen wäre‘. Das Belvedere antwortet postwendend zwei Tage später, dass die Ausfuhrbewilligung nicht zu erteilen ist.

Jenny Steiner wird dann in den ersten Dezembertagen des Jahres 1950, also nicht einmal vier Wochen nach der Restitution des Bildes, um das sie jahrelang gekämpft hatte und das sie, wie sie immer beteuert hatte, bei sich in New York haben wollte, über ihren Rechtsanwalt informiert, dass das Belvedere das Bild kaufen möchte. Scheinbar gegen alle Vernunft entscheidet sich Jenny Steiner nur einige Wochen später zum Verkauf. ,Scheinbar gegen alle Vernunft' deshalb, da der Verkauf nur zu erklären ist, wenn Jenny Steiner vorher von der Aussichtslosigkeit eines Ansuchens auf Ausfuhr informiert wurde.

Das Belvedere spielt eine Doppelrolle: Es verhindert hinter dem Rücken von Jenny Steiner die Ausfuhrbewilligung, die zu erhalten gewesen wäre, und präsentiert sich ihr gegenüber als Retterin in der Not, die sie selbst herbeigeführt hat.

Der Kunstrückgabebeirat hat in der Vergangenheit die Restitution auf der Grundlage des Kunstrückgabegesetzes vor der Novelle 2009 mit der Begründung abgelehnt, Mutter mit zwei Kindern III sei nicht, wie vom Gesetz gefordert, 'unentgeltlich' übertragen, sondern an das Belvedere verkauft worden. Seit der Novelle 2009 ist 'Unentgeltlichkeit' der Übertragung nicht mehr gefordert. Gefordert wird nun (a) ein Ausfuhrverfahren und (b) ein 'enger Zusammenhang' zwischen dem Ausfuhrverfahren und der Übertragung des Kunstgegenstandes. Sowohl das Kriterium 'Ausfuhrverfahren' als auch das Kriterium 'enger Zusammenhang' zwischen dem Ausfuhrverfahren und der Übertragung sind erfüllt.

Die telefonische Anfrage des Bundesdenkmalamtes beim Belvedere und die vom Belvedere danach erteilte schriftliche Auskunft ist die Einleitung eines Verfahrens nach dem Ausfuhrverbotsgesetz. Die Anfrage des Bundesdenkmalamtes ist ein Willensakt, der dem Bundesdenkmalamt zuzurechnen ist, und zielt darauf ab, den Sachverhalt, nämlich die Frage, ob eine Ausfuhrbewilligung zu erteilen wäre, zu klären. Ein derartiges Vorgehen des Bundesdenkmalamtes und der Museen war üblich und ist in zahlreichen anderen Kunstrückgabefällen dokumentiert. Eine Abwägung der geschichtlichen und künstlerischen Argumente, die für und gegen eine Ausfuhr sprechen, findet nicht statt.

Auch der 'enge Zusammenhang' liegt auf der Hand. Zuerst wird geklärt, dass eine Ausfuhrbewilligung nach dem Ausfuhrverbotsgesetz nicht erteilt wird, unmittelbar danach ergreift das Belvedere die Kaufinitiative. Dass Jenny Steiner von der Versagung der Ausfuhrbewilligung gewusst hat, ist höchstwahrscheinlich. Warum sollte sie es sonst, nachdem sie jahrelang um das Bild gekämpft hat und immer wieder beteuert hat, es bei sich in New York haben zu wollen, innerhalb von wenigen Wochen nach der Restitution verkaufen?"

Ernst Ploil hingegen argumentiert folgendermaßen, veröffentlicht unter dem Titel Rückgabe wäre Rechtsbruch in Die Presse am 22. September 2010:

"Nur das Bundesdenkmalamt kann das im Gesetzestext erwähnte 'Verfahren über das Verbot der Ausfuhr von Gegenständen' einleiten. Ein solches Verfahren wurde in diesem Fall nie eingeleitet. Auch gab es seitens der Familie Steiner nie ein Ansuchen auf Ausfuhr des Gemäldes an das Bundesdenkmalamt. Was nicht verwunderlich ist, da die Eigentümerin des Kunstwerks in Wien lebte. Denn Jenny Steiner hatte das Bild bereits vor dem Verkauf ihrer in Wien lebenden Tochter Anna Weinberg geschenkt.

Es gab also nicht den geringsten Grund, das Gemälde außer Landes zu bringen. Daher erfuhren auch weder sie noch ein Rechtsvertreter von der Kommunikation zwischen dem Bundesdenkmalamt und dem damaligen Belvedere-Direktor Karl Garzarolli: Denn nur in einer internen Aktennotiz vom 18.November 1950 wurde festgehalten, dass das Bundesdenkmalamt sich beim Belvedere erkundigte, ob 'im Falle eines Ausfuhransuchens der Frau Jenny Steiner' eine Genehmigung zu erteilen sei sowie die telefonische Empfehlung Garzarollis, die Ausfuhr für das genannte Bild sei nicht zu erteilen, weil es sich um ein Spätwerk Schieles und auch eines seiner Hauptwerke handle und er das Bild wegen seiner Bedeutung käuflich erwerben wolle.

Hinzu kommt: Der am 24.März 1951 an Anna Weinberg bezahlte Kaufpreis war bewiesenermaßen angemessen. Rein formal bestehen also die wesentlichsten Voraussetzungen für eine Rückgabe nicht: Es gab nie ein Verfahren zur Erlangung der Ausfuhr nach dem Ausfuhrverbotsgesetz. Es ist auf die Eigentümerin des Kunstwerks nie irgendein Druck ausgeübt worden, das Gemälde zu verkaufen. (...) Auf Grund aller dieser Umstände bin ich davon überzeugt, dass die Rückgabe des zur Diskussion stehenden Bildes nach den vorliegenden Akten einen krassen Rechtsbruch darstellen würde."

Abgesehen davon, dass der eine meint, dass Mutter mit zwei Kindern III zu restituieren sei – und der andere widerspricht: Martin Maxl behauptet, Jenny Steiner habe dem Belvedere das Gemälde verkauft, Ernst Ploil hingegen behauptet, deren Tochter Anna Weinberg sei es gewesen. Was stimmt nun?

Mutter mit zwei Kindern III wurde am 9. November 1950 restituiert. Das Bild konnte jedoch nicht ausgeführt werden. Es befand sich daher in Wien – im Büro der Firma Steiner, an der Anna Weinberg beteiligt war. Der Erwerbungsakt der Österreichischen Galerie beginnt mit einem Brief, den Jenny Steiners Anwalt Helfried Herrdegen am 16. Jänner 1951 an Karl Garzarolli, den Direktor der Österreichischen Galerie, schrieb. Garzarolli hätte ihm Anfang Dezember bekanntgegeben, dass die Österreichische Galerie auf das Gemälde „reflektiert"; seine Mandantin wäre bereit, „das Bild um einen angemessenen Preis zu verkaufen" (Abb. 2). Bereits zwei Tage später antwortet der Direktor, dass er 16.000 Schilling auszulegen bereit sei (Abb. 3).

Nun schaltet sich Klara Mertens, eine der drei Töchter Jenny Steiners, ein. Sie schreibt Garzarollis Mitarbeiter Fritz Novotny, den sie von früher sehr gut kennt, am 28. Jänner aus New York: „Mama hatte eigentlich nicht die Absicht, dieses Bild, an dem sie auch aus sentimentalen Gründen hängt, zu verkaufen. Doch wenn sie sich von dem Bild trennt, möchte sie mindestens 25.000 Schilling dafür erhalten. Sie fühlt, dass dieser Preis für dieses bedeutende Schiele-Bild, aus seiner besten Zeit, angemessen ist." (Abb. 4ab)

Novotny antwortet am 8. Februar 1951, dass "der äußerste Preis", den die Österreichische Galerie zahlen könnte, 20.000 Schilling sei (Abb. 5). Klara Mertens teilt ihm daraufhin mit, dass sich ihre Mutter einverstanden erkläre. Der Betrag müsse spätestens in acht Wochen ihrer Schwester Anna Weinberg übergeben werden: "Mama schenkte nämlich dieses Bild meiner Schwester, die ständig in Wien lebt und den Betrag benötigt." (Abb. 6)

In der Folge wendet sich Novotny an Anna Weinberg und handelt mit ihr die Übergabemodalitäten aus (Abb. 10). Anna Weinberg stellt eine Rechnung über 20.000 Schilling (Abb. 12, 13); am 4. April bestätigt die Österreichische Galerie, das Bild übernommen zu haben (Abb. 14). Nach den vorliegenden Dokumenten gibt es also keinen Zweifel daran, dass die Österreichische Galerie das Bild von Anna Weinberg gekauft hat. Anna Weinberg war zu diesem Zeitpunkt Eigentümerin des Bildes. Zudem zweifelte die Österreichische Galerie die Schenkung in keinster Weise an: Sie kaufte von Anna Weinberg das Bild – und zahlte ihr die 20.000 Schilling.

Martin Maxl legt aber eine Expertise des Salzburger Juristen Georg Graf vor. In dieser heißt es:

"Die These, dass Jenny Steiner das Bild ihrer Tochter Anna Weinberg geschenkt hätte, wird vor allem darauf gestützt, dass der Kaufpreis auf Weisung Jenny Steiners von der Republik an Anna Weinberg ausbezahlt worden war. Letzteres ist zwar zutreffend, berechtigt aber – wie nähere Analyse zeigt – nicht dazu, von einer solchen Schenkung des Bildes auszugehen. Es hat keine Schenkung des Bildes, sondern eine solche des für das Bild erhaltenen Kaufpreises stattgefunden.

Dies ergibt sich eindeutig aus den vorhandenen Unterlagen. Diese zeigen nämlich, dass die Vertragsverhandlungen mit der Republik von Frau Klara Mertens immer ausdrücklich im Namen ihrer Mutter geführt wurden. (...) Auch die entscheidende Willenserklärung, das Angebot der Käuferin anzunehmen, kam von Jenny Steiner. (...) Diese Annahmeerklärung macht nur dann Sinn, wenn Jenny Steiner zu diesem Zeitpunkt noch Eigentümerin des Bildes war. Wäre sie nicht mehr Eigentümerin gewesen, hätte sie ja gar keine Befugnis gehabt, das Bild zu verkaufen; dies hätte vielmehr einen rechtswidrigen Eingriff in fremdes Eigentum dargestellt.

Erst nach der Abgabe dieser Willenserklärung kam die Instruktion an die Käuferin, die Zahlung des Kaufpreises sollte an die Tochter erfolgen. Zivilrechtlich lag somit eine Anweisung vor: Der Gläubiger der Kaufpreisforderung, die Verkäuferin, wies die Käuferin, die Republik Österreich, an, den von ihr geschuldeten Kaufpreis an eine dritte Person, die Anweisungsempfängerin zu bezahlen. Frau Weinberg fungierte zivilrechtlich betrachtet als Zahlstelle für die Kaufpreiszahlung. Zwar findet sich in diesem Brief auch die Formulierung: 'Mama schenkte nämlich dieses Bild meiner Schwester, die ständig in Wien lebt, und den Betrag benötigt.' Diese ist jedoch nicht wörtlich zu nehmen, da sie ja, wenn man sie wörtlich nähme, auf rechtlich Unmögliches abzielen würde. Frau Steiner kann nicht in ein und demselben Brief ein Bild an die Republik verkaufen und gleichzeitig an ihre Tochter verschenken. Wenn sie es der Tochter schenkt, könnte nur diese es verkaufen. Frau Steiner würde als Verkäuferin dann ausscheiden.

(...) Mit anderen Worten: Verkäufer des Bildes war derjenige, der den Kaufvertrag in eigenem Namen abgeschlossen hat. Dies war eindeutig Frau Steiner. Damit ist aber die vom Kunstrückgabegesetz aufgestellte Voraussetzung erfüllt: Frau Steiner wurde die Ausfuhrbewilligung verweigert und sie hat in der Folge das Bild an die Republik Österreich verkauft.

Eine andere Deutung, wonach eine Schenkung des Bildes an Frau Weinberg erfolgt wäre, verstößt gegen elementare zivilrechtliche Kategorien. In einem solchen Fall wäre Frau Weinberg Eigentümerin des Bildes gewesen; dann hätte aber Frau Steiner nicht in eigenem Namen das Bild der Republik Österreich verkaufen können. Nun ist sie aber in eigenem Namen aufgetreten, woraus zwingend folgt, dass sie sich auch als Eigentümerin des Bildes ansah."

Alfred Noll, Anwalt der Erbin nach Anna Weinberg, sieht den Sachverhalt anders. Er will sich zum Fall aber nicht äußern, gibt lediglich zu verstehen, dass es eine "Schenkung unter Auflage" gibt. Um ihrer Verpflichtung gegenüber der Österreichischen Galerie nachzukommen, sei die Schenkung an Anna Weinberg mit der Auflage verbunden gewesen, das Bild zum vereinbarten Preis an die Österreichische Galerie zu verkaufen.

[Egon Schieles Bild "Mutter mit Kindern III" aus der Sammlung Jenny Steiner: Der Kunstrückgabebeirat hat sich nicht festgelegt, ob das Werk zu restituieren ist oder nicht, der Standard gibt Raum zur Diskussion über das Für und Wider.]

Die Direktorin der Österreichischen Galerie Belvedere, Agnes Husslein, meldete sich jüngst in einem Kommentar der Anderen in der Printausgabe des Standard vom 07.10.2008 folgendermaßen zu Wort:

"In Ihrer Ausgabe vom 4. 10. 2010 haben Sie einen Kommentar des Anwaltes der Israelitischen Kultusgemeinde veröffentlicht, der mit den Worten endet: "Nach Geist und Buchstaben des novellierten Kunstrückgabegesetzes ist 'Mutter mit zwei Kindern III' zu restituieren". Zu dieser Ansicht konnte Martin Maxl nur gelangen, indem er den tatsächlichen Hergang der Ereignisse ignoriert und fundamentale Rechtsgrundsätze außer Acht lässt:

Jenny Steiner hat das Schiele-Gemälde "Mutter mit zwei Kindern III" ihrer in Wien lebenden Tochter Anna Weinberg geschenkt; und die hatte nie die Absicht, es aus Österreich auszuführen.

Das Kunstrückgabegesetz sieht als eine von mehreren Voraussetzungen für eine Rückgabe "einen engen Zusammenhang mit einem Verfahren nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Verbot der Ausfuhr von Gegenständen kultureller Bedeutung" vor. Ein solches Verfahren ist aber nie eingeleitet worden. Alles andere sind rechtliche Bedeutungslosigkeiten.

Das Belvedere hat an Anna Weinberg einen Preis gezahlt, der nirgendwo auf der Welt hätte erzielt werden können. Weder sie noch ihre näheren Verwandten haben jemals Vorwürfe erhoben, dass der mit dem Belvedere zustande gekommene Vertrag nicht fair gewesen sei.

Hätte der Anwalt die Unterlagen gründlicher studiert, käme er zum Schluss, dass Jenny Steiner das Bild nicht abgepresst wurde. Wenn es jetzt zum zweiten Mal restituiert werden soll, würde es – unter missbräuchlicher Verwendung des Restitutionsgedankens – allerdings tatsächlich abgepresst werden, nämlich den Österreicher/-innen, die es rechtmäßig erworben haben."

Wie der Kunstrückgabebeirat am 8. Oktober tatsächlich entscheiden wird, lässt sich nicht abschätzen. (Thomas Trenkler / DER STANDARD, 7.10.2010)