Fossile Muscheln und Schnecken von der Küste Chiles. Die Arten-Diversität dieser Weichtiere war früher höher.

Foto: Sven Nielsen

Kiel - Fast überall auf der Welt nimmt die Artenvielfalt zu den Polen hin ab - einzige Ausnahme bildet die südamerikanische Pazifikküste. Durch Untersuchungen an fossilen Muscheln und Schnecken aus Chile fanden die deutsche Paläontologen nun Beweise dafür, dass dieser erstaunliche Gegensatz seinen Ursprung im Ende der letzten Eiszeit vor zirka 20.000 bis 100.000 Jahren hat.

Die abschmelzenden Gletscher hinterließen eine mosaikartige Landschaft aus unzähligen Inseln, Buchten und Fjorden, wie sie auch in Skandinavien zu finden ist. In dieser Vielfalt an neuen Lebensräumen konnten - aus geologischer Sicht - innerhalb kürzester Zeit neue Arten entstehen, deren Vorfahren die Eiszeit im wärmeren chilenischen Norden überdauert hatten.

Zwei falsche Hypothesen

Die ungewöhnlich hohe Artenvielfalt an der chilenischen Südküste ist schon lange bekannt. Mit über 500 Muschel- und Schneckenarten sind hier allein bei diesen Tieren doppelt so viele Arten wie an vergleichbaren Orten zu finden. Über die Ursache dieses Artenreichtums werde bisher aber nur spekuliert, berichten die beiden Wissenschafter Steffen Kiel und Sven Nielsen von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Geology: "Die gängigen Meinungen sind, dass entweder die Region um Chile ein 'Museum der Artenvielfalt' ist, in dem alte Arten über Jahrmillionen überdauerten während neue hinzukamen, oder dass antarktische Arten die Fjordlandschaft von Süden her besiedelten."

Die Analyse von rund 35.000 fossilen Muscheln und Schnecken unterschiedlichen Alters, die etwa 400 Arten zugeteilt werden können, erlaubt den Paläontologen nun ein genaueres Urteil: "Unsere Fossilien zeigen deutlich, dass beide Hypothesen zur Artenvielfalt in Chile nicht in Frage kommen. Die geologische Vergangenheit dieser Region beweist, dass Artenreichtum immer gen Süden hin abnahm, was der Besiedlung durch antarktische Arten widerspricht", erklärt Steffen Kiel. Auch fanden die Forscher heraus, dass der größte Teil der Arten und Gattungen, die noch vor 16 Millionen Jahren in Südamerika gelebt hatten, schon vor der letzten großen Eiszeit ausgestorben waren. "Von einem Museum der Artenvielfalt, kann also keine Rede sein", so Kiel weiter.

Flache Küstenbereiche am artenreichsten

Die artenreichsten Tiergruppen in der südchilenischen Inselwelt sind solche, die im flachen Wasser an Felsküsten leben. Also genau in dem Lebensraum, der durch den Rückzug der ehemals direkt ins Meer mündenden Gletscher frei wurde. "Molekularbiologische Untersuchungen zu den Verwandtschaftsbeziehungen dieser Tiere zeigen, dass sie entwicklungsgeschichtlich sehr jung sein müssen und von Arten aus Nordchile abstammen. Das stimmt mit unseren Ergebnissen überein", sagt Sven Nielsen, der seit vielen Jahren mit chilenischen Fossilien arbeitet.

"Charles Darwin, der von seiner Reise auf der 'Beagle' als erster Fossilien aus diesen Regionen mitbrachte, wäre wohl begeistert gewesen." Ihre Forschung zeige deutlich, dass zum Wohle der Artenvielfalt nicht nur einzelne Lebensräume, wie zum Beispiel das Wattenmeer, geschützt werden müssen, sondern dass die Vielfalt an Lebensräumen selbst den Artenreichtum sichere, ergänzt Nielsen. (red)