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1:5. So weit kam es für Anderlecht lange nicht mehr. Zehn Jahre ist es her, seit die stolzen Brüsseler eine vergleichbar überzeugende Maulschelle verpasst bekamen (0:5 in Westerlo). Sie vom Erzrivalen Standard hinnehmen zu müssen, schmerzt nur noch mehr und begab sich im sonntäglichen Belgien-Schlager im Sclessin zu Lüttich. Dies war die schwerste Niederlage gegen die Roten seit 57 Jahren (am 15.3. 1953, im fußballerischen Mittelalter also, hatte es es dies Resultat schon einmal gesetzt) - und sie war nicht zu erwarten. Zu uninspiriert (zwei Niederlagen, zwei Remis) war Standard in die neue Spielzeit gestartet, welche mancherorts bereits als Übergangssaison identifiziert und zu den Akten gelegt worden war.

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Demgegenüber reiste Rekordmeister Anderlecht ungeschlagen und mit standesgemäßer Tordifferenz von 22:5 in die wallonische Kapitale. Standard-Trainer Dominique d'Onofrio tat einen Griff in den Honigtopf und adelte den Gegner zur "besten Mannschaft Belgiens". Was andererseits die Königlichen ohnehin als ihr Geburtsrecht begreifen - eine Selbstverständnis, das die Sitzblockade der mauven Anhänger vor dem Mannschaftsbus nach einem solch beschämenden Abend beinahe unausweichlich erscheinen lässt. 1:5, das ist im Anderlechtschen Kosmos gleich Krise, da hilft alles psychologisieren nichts.

Denn umwölkt war das Gemüt der Brüsseler ja doch, zu übel hatte das europäische Schicksal kürzlich mitgespielt. Bei Hajduk Split in letzter Aktion 0:1 unterlegen, hält man in der Europaliga weiter bei unerquicklichen null Punkten und handelte sich zudem auch noch eine Taktikdebatte ein. Vorwurf: Feigheit vor dem Feind. Dabei hätte Anderlecht sich eigentlich ohnehin unter Champions tummeln wollen. Doch da war Partizan Belgrad sowie ein Trauma von einem Elferschießen vor, in dessen Rahmen zwei Brüsseler Schützen  Katastrophales ereilte: Tor verfehlt. So etwas nagt.

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Und in Lüttich erfasste die Seuche nun auch Nationales. Während Wunderkind Lukaku und Suarez versemmelten, versäbelten oder Gebälk testeten, fuhr standardseitig wie von Zauberhand gezogen ein jeder Versuch in die Maschen. Bei weiter Auslegung des Prinzips Hoffnung, könnte behauptet werden, dass der Ausgang der Partie bis fünf Minuten vor Schluss offen war. Standard führte zu diesem Zeitpunkt nach einem Doppelschlag von Tchité innert vier Minuten zwar 3:1, doch Anderlecht hatte mehr vom Spiel und ausreichend Gelegenheit zum Anschluss. Natürlich wurde dieses "mehr" von den Lüttichern gerne zugestanden, konnten sich die doch ihrem – dem FC Salzburg noch wohlbekanntes – Konterideal annähern. Sie taten dies mit Stil und zwei flink herauskombinierten weiteren Toren von Bokanga (85.) sowie dem Coup de grâce Carcelas (92.). Anderlecht-Kapitän Deschacht: "Es hätte auch 6:6 ausgehen können. Aber wir sind auch selbst Schuld. Wir hören nicht auf den Trainer."

In belgischen Medien frohlockt man bereits über eine "irre Saison, in der offenbar jeder Meister werden kann." Nach drei Erfolgen in Serie wie es aussieht auch Standard. In bester Position auch nach der zehnten Runde: Tabellenführer Genk mit fünf Punkten Vorsprung.

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In Schottland, wo wir aufgrund einer nicht mehr zu leugnenden Vorliebe Ihrer Ligalagen schon wieder Station machen, nahmen am Samstag die Glasgow Rangers auch aus Edinburgh alle Punkte mit. Diesmal wurden, spät aber doch, die Hearts of Midlothian überwunden. In den unausweichlichen Gleichschritt mit Celtic verstrickt, gingen die Rangers mit blütenweißer Weste in das siebente Spiel der Saison. Zwei Teams nach sechs Runden ohne Punktverlust, das hatte es in der langen und glorreichen Historie des kaledonischen Kicks seit 1933/34 nicht mehr gegeben.

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Die Identität der damaligen Protagonisten überrascht, denn es handelt sich NICHT um die Glasgower Giganten. Da wäre einmal der Motherwell FC, beheimatet in der gleichnamigen wie unauffälligen Stadt in Lanarkshire. Einst jedoch war Motherwell Stahlhauptstadt Schottlands und so rufen sie ihre Kicker denn auch Steelmen. Gewonnen haben die noch nicht viel, zuletzt 1991 den schottischen Pokal. Immerhin aber hat sich Motherwell seit Mitte der 1980er Jahre als Erstliga-Institution etabliert. 2007/08 gab's dort unter Trainer Mark McGhee gar Platz drei.

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Dann: der Queen's Park Football Club. 1867 gegründet, sind die Spiders einer der ältesten Vereine der Welt und haben sich in der Frühzeit mehr als alle anderen um den Fußball verdient gemacht, besonders was die Vereinheitlichung des Regelwerks betrifft. Unter anderem verdankten wir Queen's Park Querlatte, Freistöße und Halbzeiten. 1872 empfingen die Dunkelblauen unter dem Namen Schottland England zum erste internationalen Match der Geschichte und verblüfften mit ihrem kombinatorischen Stil. Queen's Park, bei dem Sir Alex Ferguson seine Spieler-Karriere begann, hält bis heute an seinem Amateurstatus fest und tritt auch in der vierten Leistungsklasse nach wie vor im viel zu großen Hampden Park an. Zehn Jahre lang verweigerte der Verein den Beitritt zur 1890 gegründeten Liga, da er seine Ideale nicht der Professionalisierung zu opfern gewillt war. Treu dem Motto: Ludere causa Ludendi – "Zu spielen um des Spieles willen".

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Doch zurück in die Gegenwart. Lange hielt die Führung hasenfüßiger Hearts gegen die Rangers. Edinburgh war fast ausschließlich auf das Halten eines mageren 1:0 bedacht, während die Gäste stetig aber harmlos anrollten. Nikica Jelavic, mit Anpassung an höheres Tempolimit beschäftigt, spazierte übers Grün und griff sich ab und zu an den Kopf. Solches Verhalten macht Übungleiter schon einmal mürbe, doch bei Stürmern zählt eben auch das Potentielle zur Realität und der Ex-Rapidler durfte bis zum Ende mitmachen. Absehbar, dass Lafferty an einem abstrus positionierten kümmerlichen Mäuerchen vorbei zum Ausgleich frei stieß. Immer dringlicher wurde nun die halsstarrige Angriffigkeit der Gers und es hatte nicht das geringste mit einer schottischen Variante von Dusel zu tun, dass Steven Naismith noch einmal traf. Auch wenn das erst in der 94. Minute vorging. Ein Triumph moralischer Überlegenheit.

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In Mailand sah ein nicht ganz volles San Siro ein kurzweiliges Derby d'Italia. Inter und Juventus gelang zwar kein Tor, Tempo, Einsatz und taktisches Geschick ließen jedoch kaum Wünsche offen. Außerdem blieb es trotz der etwas angespannten Gefühlslagen, die das Treffen umwehten, um den mächtigen Klotz herum relativ ruhig. Beide Seiten zeigten Siegeswillen und erarbeiteten sich gegen starke Defensivreihen auch so manche Gelegenheit. Während bei Turin der rechterhand mit vielen Freiheiten gesegnete Milos Krasic beeindruckte, war beim Meister Samuel Eto'o erneut schön anzusehen. Nachdem Diego Milito nach Biabianys Verletzung die Ersatzbank doch verlassen durfte, wich der Kameruner nach links aus und kam ab diesem Zeitpunkt eher besser zur Geltung. Doch Juve ist nicht Bremen.

 

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Für Juventus brachte der Sonntagabend die erfreuliche Erkenntnis, Inter ein würdiger Gegner sein zu können - in Zeiten wie diesen keine Selbstverständlichkeit mehr. Schon das CL-Remis bei Manchester City zur Wochenmitte war Grund zur Hoffnung auf Konsolidierung der neuformierten Mannschaft. "Die Balance war gut. Wir konzentrieren uns mehr, wir helfen einander mehr", fand auch Luigi Del Neri warme Worte. Er hatte auch diesmal an seinem 4:4:2 festgehalten und mit dem eifrig defensiv mitarbeitenden Fabio Quagliarella statt Alessandro del Piero begonnen. "Wir haben Manchesters Angriff in Schach gehalten und wir haben Inters Angriff in Schach gehalten. Ein gutes Omen für die Zukunft", schloss Del Neri.

 

 

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Inters  Rafael Benitez hatte den den Rückfall seines Teams hinter Lazio Rom (!) auf Tabellenplatz zwei zu registrieren. Und er traf aus der Sicht des Etablierten einen gemäßigteren Ton. "Wir waren etwas unglücklich und hätten gewinnen können", fand der Spanier. Nichtsdestotrotz drückte er Zufriedenheit mit seiner Formation aus - ohne es freilich zu versäumen, auf eine ansehnliche Blessiertenliste hinzuweisen: Pandev, Zanetti und Motta standen nicht zur Verfügung.

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Auch Mario Balotelli hat's gefallen.

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In Deutschland erfreut man sich derweil an der nächsten Spaßtruppe: Dortmund wandelt auf den Spuren von Mainz, das mit 21 Punkten nach sieben Spielen langsam an den Klassenerhalt denken darf. Gegen Bayern München bestanden Jürgen Klopps junge Leute Charakter- wie Nervenprobe. Nach einer mühsamen ersten Halbzeit wurde das 2:0 mehr erdrückt denn erspielt. Eine durchaus erstaunliche Revolution übrigens, endete doch vor einem Jahr nämliche Begegnung mit einem schlanken 1:5. "Natürlich könnten wir sagen, wir werden jetzt Meister. Aber wir sind ja nicht behämmert und können das einordnen. Wir haben Oktober", hatte Klopp seinen Kalender akribisch konsultiert. Und Neven Subotic diagnostizierte: "Wir haben gekämpft wie die Geisteskranken."

Bayerns Louis "Kreiert" van Gaal salbaderte einmal mehr über mangelhafte Leistung vor dem Tor - beim schlechtesten Angriff der Liga durchaus zu Recht. Sein Loblied vom Ballbesitz jedoch, beginnt an den Nerven zu zerren. Dem Kaiser soll bereits das Wort "Käse" ausgerutscht sein.  Van Gaal: "Wir müssen den Glauben haben." Da man an der Säbener Straße dessen alleinseeligmachender Wirkung aber nicht recht traut, wurde der allseits beliebte Besuch beim Oktoberfest kurzerhand ab- und stattdessen eine zusätzliche Trainingseinheit angesetzt.

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In Stuttgart, das sich hartnäckig auf dem 18. und letzten Platz hält, spielt es sich noch ärger ab. Christian Gross, Retter a.D., wird bereits ein gewisser Jürgen Klinsmann untergeschoben. Manager-Rookie Fredi Bobic widerspricht heftig, doch die Nerven liegen nach dem schlechtesten Start (sieben Spiele, sechs Niederlagen) seit der Abstiegssaison 1974/75 bar. Was da brodeln mag, offenbarte Kapitän Matthieu Delpierre mit seinem brutalen Tritt beim 1:2 gegen Frankfurt. Zehn VfBler haben dann sogar noch den Ausgleich geschafft, allein Schiedrichter Felix Brych wollte ihn nicht wahrhaben. Zum Unglück für Stuttgart hat seine Meinung aber Gesetzeskraft und der einwandfreie Treffer Cacaus zählte nicht. Um Aufklärung bemüht, suchte der selbstlose Bobic den Unparteiischen sogar in der Kabine auf. Er bekam Unbefriedigendes über einen nicht namentlich bekannten Leiberlzieher zu hören. Bobic: "Da musst du dich zusammennehmen und sagen: 'Dankeschön, viel Glück fürs nächste Spiel.'"

Das findet nach der Länderspielpause gegen Schalke 04 (1:2 in Nürnberg; Trainer Hecking: "Ich bin sehr zufrieden", Trainer Magath: "Ich bin natürlich völlig unzufrieden") statt. Kellerderby! (Michael Robausch - derStandard.at, 4.10. 2010)

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