Edita Gruberová als Donizettis Lucrezia Borgia.

 

Foto: Staatsoper/Pöhn

Wien - Es wird wohl noch ein gehöriges Weilchen vergehen müssen, bis man die ästhetische Grundausrichtung des neuen Staatsoperndirektors erkennen, bewerten und mit dem Stil des Vorgängers vergleichen wird können.

Summiert man allerdings seine Ankündigung, viele Uraltinszenierungen nicht ersetzen (eher nur auffrischen) zu wollen und Regieexperimente nicht zu schätzen, mit der Tatsache, dass er nun als erste "Premiere" seiner Ära eine konzertante Oper aufbot, wird man die Hoffnung auf zeitgemäßes Musiktheater vorsichtshalber lieber gleich im Theater an der Wien Platz nehmen lassen. Im Bewusstsein, dass es noch ganz anders kommen könnte - im Haus am Ring.

Fürs Erste kann Direktor Dominique Meyer für sich in Anspruch nehmen, viele glücklich gemacht zu haben, indem er der glühenden Verehrung des Publikums für Koloratur-Spezialistin Edita Gruberová kein szenisches "Hindernis" in den Weg gestellt hat. Da klingt der Auftrittsapplaus fast schon wie der Schlussapplaus; und auch Transparente werden beim Fest der Stimmen von den Logen herab entrollt ("Edita - Simply The Best!"). Sieht man auch nicht alle Operntage.

Als Lucrezia Borgia (in der gleichnamigen Oper von Gaetano Donizetti) ist Gruberová tatsächlich auch in fast jeder heiklen Höhe nach wie vor souverän unterwegs. Von nahezu maschineller Exaktheit da und dort ihr Pianissimo und ihr Crescendo-Decrescendo-Spiel. Und wo es darauf ankommt, hat ein Ton dann andererseits große Dramatik; Technik und Emotion ergänzen einander.

Paradoxerweise kann man abseits der zentralen Stellen jedoch hin und wieder Intonationsschwächen und fahle Phrasen (in den Tiefen) vernehmen, was doch am Gesamtbild kratzt. Ausgewogener denn auch der sehr gute Tenor José Bros (als Gennaro); und mit Fortdauer des Abends steigert sich auch Laura Polverelli (als Orsini) zu klangschöner Intensität, die man auch dem Chor nicht absprechen mag. Solide der Ensemblerest.

Zum musikalischen Gesamtereignis hätte es allerdings eines Dirigent bedurft, der das Orchester aus der Rolle des unterforderten Assistenten herausgeholt hätte. Gruberovás ehemaliger Lebensgefährte Friedrich Haider war diesmal kein solcher. (Ljubisa Tosic / DER STANDARD, Printausgabe, 4.10.2010)