Raucher müssen draußen bleiben, heißt es seit Juli 2010 auch im Café Sperl. - Eine Aufforderung zur Untreue?

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Qual statt Alm: Noch-"Sperl"-Stammgast Thomas Sautner.

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Neuerdings wird man also gequält im Kaffeehaus. Erstmals nach der Sommerpause sitz ich im Café Sperl, und erstmals darf ich, von Gesetzes wegen, nicht rauchen.

Niemals zuvor war sie derart immens, die Lust auf eine Zigarette. Ich wetze auf dem Polstersessel hin und her, als sei ich ein Kettenraucher. Dabei waren es für gewöhnlich nicht mehr als ein, zwei Selbstgedrehte, die ich während des ganzen Tages im Café mehr paffte als rauchte. Was mich quält, ist nicht vorrangig das Verbot zu rauchen. Was mich derart unrund macht, ist das Verbot zu tun und zu lassen, was ich will.

Die Einschränkung, ich spüre es, greift augenblicklich auf meinen Organismus über, blockiert Schultern, Nacken, Kopf, lässt die Gehirnwindungen schockartig erstarren und ich brauche mir nichts vorzumachen: Heute werde ich mit dem neuen Roman keine Zeile weiter kommen.

Ich klappe den Laptop auf und zu, sehe an die Decke, ziehe Luft tief durch die Nase ein, lasse mich ausatmend gegen die Polsterung zurückfallen, pfeife lautlos hektische Rhythmen, durchblättere wahllos Zeitungen und gehe nicht aus körperlicher, sondern aus geistiger Not ein halbes Dutzend Mal auf die Toilette. Bewegungstherapie. Das fahrige Umherstreifen eines Tieres hinter Gitterstäben. Am eigenen Leib und wortwörtlich erfahre ich, was es heißt, beschränkt zu sein.

Nach wiederholtem Aufsuchen des Zeitungstisches kommt Robert Menasse herein, steuert geradewegs auf mich zu, bleibt mit hängenden Schultern vor mir stehen und sagt: "Ist es nicht furchtbar?"

Möglichst theatralisch atme ich durch, antworte, "ja, eine Tortur" . Soweit unsere Begrüßung. Dass wir von derselben Sache sprechen, brauchen wir einander nicht bestätigen, es ist ablesbar an unseren Sorgenfalten. Die Trauer steht uns ins Gesicht geschrieben, es bestätigt sich am abrupten Kehrtmachen der jungen Kellnerin. Sehr pietätvoll, sie entscheidet, uns vorerst ungestört zu lassen. - "Ich überlege ernsthaft, ins Prückel zu wechseln" , sage ich, "dort darf man noch rauchen."

"Ich hab schon gewechselt, ins Drechsler" , gibt Menasse zurück und blickt sehr ernst - was freilich angebracht ist, schließlich reden wir davon, unserer gemeinsamen Geliebten, dem Café Sperl, den Rücken zu kehren.

Selbstredend gehört sich das nicht und wir haben schlechtes Gewissen. Doch war es nicht schon jeher so, rechtfertigen wir uns, dass sich der Geliebte, wenn ihm die Geliebte die Rute ins Fenster stellt (und nun eben das Rauchen-Verboten-Schild), dass sich der Geliebte in solchen Fällen schweren Herzens aber doch: für die Freiheit entscheidet?

Schließlich wird das Kaffeehaus nicht wegen des Kaffees besucht. Darüber waren sich schon die Altvorderen einig, Heiligkeiten wie Altenberg, Torberg, Pollak, Zweig, Kraus, Kuh, Polgar, Werfel.

Über alles konnten sie disputieren, nur darüber nicht: Das Wichtigste am Kaffeehaus ist nicht der Kaffee, sondern das Haus. Und die Atmosphäre darin. Im idealen Fall wird sie gespeist von Witz und Intellekt, kosmopolitischem Schwadronieren und klugem Schweigen, Genuss und Gelassenheit und - das Wichtigste - einem alle Poren durchflutenden Gefühl von Freiheit, von leben und leben lassen.

Das Kaffeehaus ist ein Ort der Möglichkeiten, ist Biotop für Geist und Körper, Erholungsraum von Zeit und Welt. Zudem konnte man bis vor kurzem vor der schmutzigen Großstadtluft ins Café flüchten. Doch seit dem Rauchverbot ist die Luft hier herinnen - wider jedes naturwissenschaftliche Gesetz freilich - antiseptisch und ausgesprochen lebensleer. Die Illusion ist verblasst, versunken die Insel der Seligen.

Ein anderer Wind auch weht herein, selbst bei geschlossener Tür, eine Law-and-Order-Brise, ein Gemisch aus Handy-Überwachung, E-Mail- und Internetkontrolle, Vorrats-Datenspeicherung, Fingerprint in Reisepässen, Durchleuchtung der Kontobewegungen, elektronische Zeiterfassung, Impfpflicht, Zwangsversicherung, Speicherung aller Krankheiten via E-Card, Kampfhundeverbot, Essverbot in U-Bahnen und Bettel-Verbot.

"Darf's noch etwas sein?" , fragt die Kellnerin. (Thomas Sautner, DER STANDARD-Printausgabe, 2./3. 10. 2010)