Rekonstruktion des Eurasischen Jaguars

Illustration: E. Haase, Senckenberg Weimar

Unterkieferrest eines 1,8 Millionen Jahre alten asiatischen Jaguars, gefunden in Dmanisi in Georgien

Foto: T. Korn, Senckenberg Weimar

Frankfurt - Mit Megafauna ist Südamerika nicht (mehr) sonderlich üppig ausgestattet - weder was Pflanzenfresser noch was Raubtiere anbelangt. Auf dem lange Zeit isolierten Kontinent standen schon Laufvögel aus der Kranichverwandtschaft und Raubbeuteltiere am Ende der Nahrungskette. Und auch heute teilen sich diesen Platz Spezies von sehr unterschiedlicher Abstammung: Etwa verschiedene Krokodilarten, Anakondas, die bis zu zwei Meter langen Riesenotter und schließlich die einzige Großkatze Südamerikas: der Jaguar (Panthera onca).

Die mit über eineinhalb Metern Körperlänge (Schwanz nicht mit eingerechnet) drittgrößte Katzenart der Welt ist eine enge Verwandte von Löwen, Tigern und Leoparden und hat wie alle Katzen in den beiden Amerikas ihre Wurzeln in der Alten Welt. Aufschluss über die Abstammung des Jaguars lieferte nun ein Fund aus der weltbekannten georgischen Grabungsstelle Dmanisi: Die freigelegte Unterkieferhälfte einer Großkatze belegt, dass ein Urahn des Jaguars vor etwa 1,8 Millionen Jahren in Eurasien lebte. Durch vergleichende Untersuchungen von Gebissmerkmalen konnte ein vom Weimarer Senckenberg-Wissenschafter Ralf-Dietrich Kahlke koordiniertes deutsch-georgisches Wissenschafter-Team auch den Weg der Jaguar-Vorfahren in die Neue Welt nachzeichnen.

Wanderungswege rekosntruiert

Bislang waren derart alte Jaguar-ähnliche Fossilien nur aus Europa bekannt. Diese sowie erdgeschichtlich jüngere Einzelfunde aus Asien weichen in mehreren Gebissmerkmalen deutlich vom heutigen amerikanischen Jaguar ab. "Der jetzt entdeckte georgische Katzenunterkiefer ist den ältesten amerikanischen Funden ähnlicher als alle bislang aus Eurasien bekannten Fossilien", stellt der Zoologe Helmut Hemmer von der Universität Mainz fest. Die kürzlich unter dem Namen Panthera onca georgica in der Fachliteratur vorgestellte neue Jaguarform beweist damit, dass sowohl die heutigen amerikanischen Jaguare als auch sämtliche eiszeitlichen Artvertreter von einem gemeinsamen Vorfahren abstammen, der außerhalb Amerikas lebte.

Der Abgleich von Gebissmerkmalen, insbesondere der Zahnproportionen fossiler und heutiger Jaguare, belegt, dass die Großkatzen bereits vor  990.000 bis 780.000 Jahren Amerika erreicht haben müssen. Ermöglicht wurde diese frühe Wanderung durch die kaltzeitliche Meeresspiegelabsenkung: Weite Schelfgebiete zwischen Nordost-Sibirien und Alaska lagen damals trocken und wurden zu fruchtbarem Weideland für zahlreiche große Pflanzenfresser. Diesen folgten die Jaguare bis nach Nordamerika. Die Katzen drangen schließlich aufgrund ihrer Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Beutetiere in immer südlichere Gegenden vor, zuletzt sogar bis in die Regenwälder Südamerikas.

"Genaugenommen sind die amerikanischen Jaguare also Nachkommen europäisch-asiatischer Einwanderer" fasst Kahlke zusammen. Während die Großkatzen in den beiden Amerikas erst in historischer Zeit durch Abschuss mehr und mehr dezimiert wurden, wurden ihre europäischen Verwandten bereits vor reichlich einer halben Million Jahren Opfer der um Beute konkurrierenden, robuster gebauten Löwen sowie schwerer eiszeitlicher Kälteeinbrüche. (red)