Foto: Markus Bernath

Serie "Extrastruggle" in der Galerie "Non" in Tophane, İstanbul

Foto: Markus Bernath

Mit dem Angriff eines organisierten Mobs auf drei Galerien im Szeneviertel Tophane in der Nacht zum 22. September hat Istanbul seinen eigenen clash of civilisations erlebt. Ein halbes Dutzend Galeriebesucher wurde verletzt. Yasar Adanali (30), ein Urbanist und Soziologe aus Istanbul, hat mir seine Sicht der Dinge geschildert:

Sie leben in Tophane und kennen die Galeristen wie die anderen Nachbarn. Haben Sie einen solchen Angriff vorausgesehen?

Yasar Adanali: Ich habe mich gefragt, wann etwas passiert. Die Spannungen in Tophane waren spürbar, es gab im letzten Jahr schon einen Angriff auf ein Theater, dann vor ein paar Monaten Ähnliches beim Treffen des Sozialforums in Istanbul. In der Nachbarschaft hat sich etwas zusammengebraut, das war sichtbar. Was ich aber nicht erwartet habe, war ein so organisierter großer Angriff. Fast 50 Leute, mit Werkzeugen und Messern bewaffnet. Manche haben mit gefrorenen Orangen auf die Galeriebesucher geworfen. Das war alles vorbereitet, abgesprochen. In der Nachbarschaft wusste man offensichtlich davon.
Eine Woche zuvor hatte eine andere Galerie in einer Parallelstraße zu einer Vernissage eingeladen. Die Besucher standen auf der Straße, es war ziemlich laut, einige wurden wirklich sehr betrunken. Dann haben sich die Nachbarn versammelt und ihre Frustration gezeigt, aber es gab keine Handgreiflichkeiten. Im Rückblick, denke ich, war das der Auslöser für die Angriffe. Die Nachbarn wollten jetzt einfach handeln.

In Tophane treffen unterschiedliche Bevölkerungsgruppen aufeinander. Was ist das Besondere und das Schwierige an dieser Mischung?

Adanali: Tophane war historisch das Viertel der Nicht-Muslime in Istanbul, der Juden aus dem Levant, der Griechen. Sie haben fast alle die Türkei verlassen mit der Gründung der Republik und den Ereignissen, die damals folgten. Heute haben wir in Tophane überwiegend Einwanderer aus Südostanatolien - eine große konservative Gruppe mit arabischen Hintergrund und Kurden aus Bitlis. Die Arabischstämmigen haben auch eine sehr aktive muslimische Bruderschaft in Viertel, die sich um die anderen kümmert und zum Beispiel freie Essen austeilt während des Ramadan.

Daneben sind in Tophane noch Roma, die ihren eigenen Überlebenskampf führen und irgendwie mit den anderen Gruppen koexistieren. Sie trinken selbst und wenn sie Hochzeiten feiern, dann tun sie das auf der Straße. Aber die Roma stoppen um elf Uhr abends mit Rücksicht auf die Nachbarn. Es gibt akzeptierte Codes, ungeschriebene Gesetze. In den letzten fünf bis zehn Jahren sind dann die Künstler mit ihren Galerien ins Viertel gezogen. Hostels, Boutiquen, ein Gourmet-Shop kamen dazu noch vom Taksim-Platz herunter. Dieser Wandel ist immer schneller geworden in den letzten zwei Jahren, würde ich sagen.

Was wird nun aus Tophane nach diesen Angriffen?

Adanali: Tophane ist jetzt eine nationale Angelegenheit geworden, der Kulturminister kam, die Stadtverwaltung. Das Viertel hat so viel Aufmerksamkeit bekommen, dass ich mir nicht vorstellen kann, die Leute aus der Nachbarschaft würden nochmals einen Angriff starten. Die Spannungen werden jedoch andauern. In der Künstlerszene beginnt man jetzt nachzudenken. Sie wollen natürlich den juristischen Weg weiter verfolgen und die mutmaßlichen Angreifer bestraft sehen, aber sie denken auch darüber nach, wie man nun einen Dialog beginnen kann.

Was in Tophane geschah, ist natürlich verbunden mit den großen Stadtplanungsprojekten in der Umgebung rundherum. Tophane wird eine Insel werden, und in fünf Jahren vielleicht - das ist meine Schätzung - werden nur noch wenige der ursprünglichen Einwohner dort leben.