Kennen Sie den? Ein Mann findet einen Frosch auf der Straße. Dieser bittet ihn: "Lass mich von deiner Frau küssen und ich verwandle mich in den besten frei improvisierenden Musiker, den die Welt je gesehen hat." Der Mann geht nach Hause, informiert seine Frau, sie überlegt kurz und sagt: "Ich werde ihn nicht küssen. Mit dem besten frei improvisierenden Musiker kann man bei weitem nicht so viel Geld verdienen wie mit einem sprechenden Frosch." John Russell hat den Witz wohl schon oft erzählt, der in Improvisationsmusikkreisen zurzeit besonders gerne die Runde macht.

Denn die britische Kulturszene bangt dem 20. Oktober entgegen, an dem Finanzminister George Osborne seine Sparpläne zur Verringerung des britischen Haushaltsdefizits vorstellen will: Alle Bereiche sollen betroffen sein, heißt es, im Kulturbereich spricht man von Kürzungen in Höhe von bis zu 30 Prozent. Ein Kahlschlag, gegen den sich Widerstand formiert: Die von Künstlern wie Damien Hirst unterstützte Initiative "Save the Arts" hält bei über 40.000 online gesammelten Unterschriften.

Wie stark dies die eigenständige britische Improvisationszene berührt, die Ikonen des freien Spiels wie Evan Parker und Derek Bailey hervorbrachte? John Russell zuckt mit den Achseln. "Für die britische Improvisationsmusik hat es nie Geld gegeben, auch nicht unter Tony Blair. Ich veranstalte seit 1988 die Konzertreihe Mopomoso und habe nie einen Penny an Förderung erhalten. Es gibt also nicht viel, was sich nach dem 20. Oktober ändern könnte", so der der 56-jährige.

Auch Pianist Veryan Weston sieht es ähnlich. Und doch bemerkt er hoffnungsvolle Ansätze, vor allem in der Agentur Sound And Music, in die das britische Arts Council die Förderung experimenteller Musik teilweise ausgelagert hat: Sound And Music ermöglichte dieser Tage mit ihrer Teil-Subvention immerhin die Begegnung britischer Musiker und Musikerinnen mit solchen aus Mitteleuropa, konkret: aus dem Pool des in Graz ansässigen "Vereins zur Förderung und Verbreitung Neuer Musik" (V: NM). Schlagzeuger Josef Klammer und Vokalistin Anette Giesriegl hatten mit Veryan Weston unter dem Titel "Alpenglow" "Blind Dates" zwischen einem Dutzend Briten und 17 (Wahl-) Steirern angesetzt. Tatort: Die Clubs Vortex und Cafe Oto in Dalston, im Stadtbezirk Hackney im Nordosten Londons gelegen.

"Blind Date" bedeutet hier: Man trifft sich auf der Bühne - ohne Probe, ohne Konzept, ohne Absprachen, oft auch, ohne einander zuvor begegnet zu sein. Der Prozess des Kennenlernens ist bereits künstlerisches (Klang-)Resultat. Was bedeutet, dass Phasen des Suchens und auch Missverständnisse nicht ausgeschlossen sind. Was freilich auch heißt, dass die Momente des Findens von packender Direktheit sind. Auch im Zuge des Alpenglow-Festivals wurden alle Stadien durchexerziert: In Erinnerung werden die farbenreichen elektroakustischen Soundkosmen bleiben, in die Andreas Weixler die Töne von Panistin Se-Lien Chuang und Flötist Rowland Sutherland per elektronischer Echtzeit-Bearbeitung weiterdachte.

Fragen der Nachhaltigkeit

Vielschichtig auch die Klangskulpturen, die Klaus Lang an der Orgel der St. Barnabas Church mit Katharina Klement (Elektronik, Klaviersaiten) und Saxofonistin Caroline Kraabel erschuf. Und: Die legendäre Vokalistin Maggie Nicols musizierte mit Violinistin Mia Zabelka und Gitarrist John Russell, als wären sie jahrzehntelange musikalische Gesprächspartner. Dennoch: Wäre ein Abgehen vom Blind-Date-Konzept nicht im Sinne der Nachhaltigkeit gewesen? Hätte längere Probenarbeit nicht auch der Entwicklung variantenreicher konzeptioneller Profile genützt?

Josef Klammer verweist auf den engen Budgetrahmen. Wie auch auf die dahinter stehende prinzipielle Kunst- und Lebenshaltung: "Ein 'Blind Date' ist sehr spannend. Das ist, wie wenn man einen Menschen, eine neue Stadt kennenlernt. Die Nachhaltigkeit der 'Blind Dates' liegt darin, für weitere 'Dates' offen zu sein." Dennoch sei auch Kontinuität ein Ziel. Wie fruchtbar die Londoner Dialoge gewesen sind, wird sich auch anlässlich des "Rückspiels" erweisen. 2011 werden beim V:NM-Festival britische ImprovisatorInnen Graz beehren. Soweit zumindest der Plan bis 20. Oktober ... (Andreas Felber aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 29. 9. 2010)