Wohnungen für das Volk: Rund 45.000 Wohnungen für bis zu 120.000 Menschen wurden vom DDR-Regime in Hellersdorf errichtet bzw. deren Errichtung in Auftrag gegeben.

Foto: derStandard.at/Putschögl

Heute sind die meisten davon saniert. 500 Millionen Euro wurden dafür allein zwischen 1990 und 2000 in die DDR-Bauten gesteckt. Kurz nach der Wende meinten viele, es sei besser, alles wieder wegzureißen.

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Die "WohnTheke" ist eine Arbeitsgemeinschaft von in Hellersdorf tätigen Immobilienunternehmen, die zwei Drittel des dortigen Wohnungsbestands repräsentieren. Die Mitarbeiter kümmern sich um Vermarktung, Imagepflege und Entwicklung der Großsiedlung.

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3,4 Millionen Einwohner hat Berlin, die meisten von ihnen wohnen in den 1,85 Millionen Wohnungen. Von diesen wiederum befinden sich 350.000, also knapp 20 Prozent, in Großsiedlungen.

Ralf Protz (li.), Projektleiter der "Wohntheke", sieht in der sozialen Durchmischung der Großsiedlung den Schlüssel zum Erfolg.

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Die Hausinvest GbR Haus und Grundstücksgesellschaft besitzt in Hellersdorf einen Wohnkomplex mit 453 Wohnungen und sieben Gewerbeeinheiten, die Gesamtgrundstücksgröße beträgt 32.000 m².

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Bei den Objekten der Hausinvest handelt es sich um Plattenbauwohnungen vom Typ WBS 70, die in den Jahren 1989 bis 1991 fertig gestellt wurde.

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2004 wurden die Wohnblöcke komplett saniert. Die meisten Wohnungen verfügen heute über einen 6 m² großen Balkon. (Bild: Vertreter der Firma Hausinvest zeigen den Block, wie er vor der Sanierung aussah.)

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Mit diesen Objekten verspekulierte sich der "Level One"-Konzern des Oberösterreichers Cavdet Caner.

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Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist man von Hellersdorf aus in einer halben Stunde am "Alex", wie der Alexanderplatz von den Berlinern kumpelhaft genannt wird.

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Auf dieser Brachfläche befand sich einst eine Kindertagesstätte. So manche dieser "Gstettn", wie man in Wien sagen würde, ist mittlerweile ...

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... zur Schrebergarten-Zone "umgewidmet" worden.

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Die "Hellersdorfer Promenade" in Hellersdorf. Kurz vor dem Ende der DDR, 1986, wurde Hellersdorf durch die Ausgliederung der Großsiedlung aus dem damaligen Bezirk Marzahn ein eigenständiger Berliner Stadtbezirk, 2001 kam es aber zur erneuten Fusion mit Marzahn.

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Überall bunte Wohnhäuser, an dieser Ecke eine Grundschule, an jener ein Gymnasium. Saubere Straßen, sechs U-Bahnhöfe, Straßenbahnen, Kultureinrichtungen, Ärztezentren und trotzdem viel Grün: Man könnte meinen, der Berliner Stadtteil Hellersdorf sei vom DDR-Regime ausschließlich für folgsame Parteigenossen errichtet worden. Allein, die wohnten lieber in Zuckerbäcker-Stilbauten Marke "Sowjetische Moderne", etwa in der Karl-Marx-Allee. Die Wohnbauten in Hellersdorf sollten leistbares Wohnen für das gemeine Volk ermöglichen, hier in diesem acht Quadratkilometer großen Stadtteil des Bezirks Marzahn, an der Peripherie Ostberlins.

Plattenbauten für das Volk

Die Machthaber der Deutschen Demokratischen Republik setzten ab den 1960er-Jahren auf eine standardisierte, industrialisierte Betonplatten-Bauweise, um das Volk mit Wohnungen zu versorgen. Die so genannten "Plattenbauten", mit genormten Grundrissen und einheitlicher Fassade, sollten später genauso zu einem Symbol der DDR werden wie das Volksauto "Trabant". Während aber der gute alte "Trabi", auf den die Bürger nach der Bestellung meist ohnehin jahrelang warten mussten, nach der Wende rasch von Autos westlicher Bauart verdrängt wurde, wohnt heute noch jeder zweite Ostberliner in einer so genannten "Plattenbau"-Wohnung.

Drei Millionen Wohneinheiten wurden bis zum Ende der DDR in dieser Bauweise errichtet, 2,5 Millionen in insgesamt 86 so genannten "Großsiedlungen" an den Rändern der großen Städte. Weitläufige Parkanlagen sollten als "grüne Bänder" die Gegenden zwischen den Wohngebieten zu Naherholungsräumen machen.

Drohende Segregation

Hellersdorf war die letzte dieser auf dem Reißbrett geplanten Städte; die letzte sozialistische Großbaustelle Berlins. Rund 45.000 Wohnungen sollten hier errichtet werden und bis zu 120.000 Menschen Platz bieten - mehr als das Zwanzigfache des Wiener "Karl-Marx-Hofs".

Als im November 1989 die Mauer fiel, waren einige Abschnitte schon bezogen, der gesamte Komplex aber noch lange nicht fertig. "Die Menschen wohnten jahrelang auf einer Baustelle", erzählt Ralf Protz. Er ist Projektleiter der "WohnTheke" in Hellersdorf, eine Art Standort-Gesellschaft, die sich heute um die Vermarktung der Großsiedlung, Imagepflege und Entwicklung kümmert. "In den Schulen gab es eigene Räume nur zum Wechseln der schmutzigen Schuhe der Kinder."

Nach der "Wende" standen die Mischmaschinen in Hellersdorf zunächst einmal still. Die Arbeiter, die aus der gesamten DDR hierher gekarrt worden waren, um in der Pampa eine Stadt aus dem Erdboden hochzuziehen, verließen ihre Arbeitsstätte und fuhren nach Hause.

Hunderttausend Menschen wohnten da aber schon in der noch nicht fertig gestellten Großsiedlung. Und die verlangten wenig später, als nunmehr "freie" Bürger des demokratischen Deutschlands, nach Entscheidungen, was mit dem halbfertigen Hellersdorf passieren solle.

"Erste Mieter zogen auch schon wieder aus, weil die Situation untragbar geworden war. Eine gewisse Segregation drohte", erläutert Protz. Eine Lösung wurde gesucht, um die Defizite rasch zu heben. "Die Frage war: Sollen die energetisch desolaten DDR-Gebäude mit einem Heizwärmebedarf von 225 kWh pro Quadratmeter und Jahr abgerissen werden, oder soll saniert werden?" Eine Bausubstanz-Erhebung kam zum Schluss: Die Sanierungskosten würden nur rund ein Drittel von vergleichbaren Neubaukosten betragen. "Die Sanierung erschien also volkswirtschaftlich sinnvoll."

Drastische Mieterhöhungen

Betriebswirtschaftlich wäre sie aber unter Beibehaltung der sehr niedrigen DDR-Mieten nicht machbar gewesen, erklärt Protz. Im Oktober 1991 betrug die durchschnittliche Miete noch umgerechnet 61 Euro-Cent je Quadratmeter.

Per Gesetz wurden die Mieten deshalb drastisch angehoben: Innerhalb von sechs Jahren mussten die Mieter eine Verfünffachung hinnehmen, im Jahr 2000 erreichte man den Preis von 4,34 Euro Kaltmiete (ohne Heiz- und Betriebskosten) je Quadratmeter. "Es stiegen zwar auch die Löhne gleichzeitig an. Wir mussten den Leuten aber klarmachen, dass sie ohne wesentlich höhere Mieten keine besseren Wohnungen kriegen."

Auch heute noch bewegen sich die Mieten in etwa auf diesem Niveau. Gleichzeitig mit den massiven Verteuerungen stieg nämlich die Leerstandsrate auf zeitweise bis zu 15 Prozent an. Man erkannte, dass der Plafond des Vertretbaren erreicht war.

Privatisierungs-Auflage

Verantwortlich für die Mietsteigerungen war aber ohnehin nicht mehr rein die öffentliche Hand. Gleichzeitig mit der Auflösung der "Kommunalen Wohnungsverwaltung" (KWV) der DDR wurde die "Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf" (WoGeHe) gegründet, die ehemaligen staatlichen Wohnungen zunächst an die Bundesländer und von diesen weiter an die Kommunen übergeben. Auflage war, 15 Prozent zu privatisieren, vorrangig an die jeweiligen Mieter.

Das gestaltete sich aber als sehr schwierig, berichtet Protz. "Die ostdeutsche Wirtschaft lag am Boden, die Leute hatten kein Geld." Dazu kam eine sehr junge Mieter-Struktur in Hellersdorf, die Mehrzahl der Bewohner waren junge Familien ohne große Ersparnisse.

Eine Lösung mithilfe von "Zwischenerwerbern" wurde angestrebt. Die Großsiedlung wurde in einzelne Quartiere unterteilt, Käufer wurden zur Sanierung innerhalb einer bestimmten Frist verpflichtet, außerdem sollten die kommunalen Mitarbeiter übernommen werden.

Mittlerweile sind nur noch 15.000 Wohnungen im (öffentlichen) Besitz der WoGeHe. Die Mehrzahl der Wohnanlagen steht im Eigentum von Genossenschaften und Unternehmen.

Österreicher verspekulierte sich

Ein kleiner Teil gelangte aber auch an Spekulanten, und ein Österreicher mischte dabei kräftig mit. Zunächst kaufte 1998 ein kleiner ortsansässiger Bauingenieur-Betrieb 1200 Wohnungen in Hellersdorf, um sie zu sanieren. Die Firma geriet aber finanziell in unsichere Fahrwasser und verkaufte im Jahr 2007 an den Konzern "Level One", der vom Oberösterreicher Cevdet Caner, einstiger Vorsitzender der Sozialistischen Jugend Linz, gegründet worden war. Caner wollte mit "Level One" Plattenbauten billig kaufen und teurer weiterverkaufen. Das Konzept ging aber nicht auf, unter anderem deshalb, weil der Sanierungsbedarf der Anlagen größer war als angenommen.

Die Finanzkrise besorgte den Rest: Die fast ausschließlich fremdfinanzierte "Level One" implodierte im Frühjahr 2009 unter einer Schuldenlast von 1,5 Milliarden Euro.

Wie es mit den 1.200 Wohnungen in Hellersdorf nun weitergeht, ist ungewiss. Die Gläubiger - darunter Credit Suisse, J.P. Morgan und Royal Bank of Scotland - werden zunächst aus den laufenden Mieteinnahmen bedient. "Es wurde deshalb geschaut, die Häuser einfach voll zu bekommen, ohne dass auf eine soziale Durchmischung geachtet wurde", kritisiert Protz diese Entwicklung.

Schrumpfende Stadt

Weil nach 1990 die Geburtenrate in Hellersdorf stark abnahm, ist die Großsiedlung heute aber generell am Schrumpfen. Dass der Leerstand derzeit "nur" bei vergleichsweise geringen neun Prozent liegt, ist deshalb auch der Abrissbirne geschuldet: Blöcke mit insgesamt 800 Wohnungen wurden in den letzten zehn Jahren wieder abgetragen, dabei wurde allerdings auch auf eine Art "intelligentes Redesign" der Satellitenstadt Wert gelegt: Teilweise wurden einzelne Stiegen aus sehr großvolumigen Anlagen herausgelöst, der Raum dazwischen begrünt und der ganze Wohnkomplex somit aufgelockert. Auch so mancher elfstöckige Bau wurde geschrumpft, auf nur noch fünf oder sechs Stockwerke.

Stark bemerkbar macht sich die abnehmende Geburtenrate auch woanders: Nicht weniger als 70 Kindertagesstätten ("Kitas") sowie 40 Schulen wurden in Hellersdorf in den letzten zehn Jahren abgerissen. Einige der so entstandenen Grünräume wurden in Schrebergärten umgewandelt und heute von den Mietern der umliegenden Wohnungen gegen eine Jahresmiete von 100 Euro genutzt - ein Angebot, das sich als äußert begehrt erwies.

Hausbau statt Eigentumswohnung

Der ursprünglich beabsichtigte Verkauf von 15 Prozent der Wohnungen an die Mieter war aber bis dato nicht erfolgreich. Protz schätzt, dass höchstens ein Prozent der Bewohner in Hellersdorf heute ihre vier Wände auch besitzen. Schuld daran war unter anderem, dass die Förderungen für den Bau eines Einfamilienhauses doppelt so hoch waren wie für den Erwerb der eigenen Wohnung. Viele zogen es also vor, unter die Häuslbauer zu gehen, und zogen weg aus Hellersdorf.

Wer dablieb, hat heute zumeist eine energetisch verbesserte Wohnung - wenn auch ein durchschnittlicher Heizwärmebedarf von 70 KWh/m²/Jahr immer noch recht hoch ist, verglichen mit heutigen Niedrigenergie- (max. 50 KWh) oder Passivhausstandards (max. 15 KWh). 500 Millionen Euro wurden bis zum Jahr 2000 in die Sanierungen gesteckt, die großteils in bewohntem Zustand durchgeführt wurden. Mit der so genannten "Hellen Mitte" ist außerdem ein echtes Stadtzentrum mit Geschäften, Restaurants, Behörden und insgesamt 15.000 Arbeitsplätzen entstanden. "Wohnen und Arbeiten am selben Ort", das sei aber ohnehin immer Utopie gewesen, meint Protz. Von den 70.000 Erwerbstätigen in Hellersdorf pendelt ein Drittel heute täglich in die Berliner City hinein.

Auslauf- oder Zukunftsmodell?

Ob es tatsächlich volkswirtschaftlich sinnvoll war, die Plattenbauten zu sanieren, darüber scheiden sich die Geister. Deutsche Medien verweisen in diesem Zusammenhang stets auf die hohen Leerstände in ostdeutschen Innenstädten - die andererseits freilich auch dafür sorgen, dass die Mieten nicht exorbitant steigen. Lutz Freitag, Präsident des GdW Bundesverbands deutscher Wohn- und Immobilienunternehmen e.V., sieht in Großsiedlungen jedenfalls einen "ganz wesentlichen Faktor für die soziale Wohnraumversorgung" und glaubt, dass die Bedeutung dieser Wohn-Quartiere "gerade vor dem Hintergrund einer sinkenden Wohnkaufkraft und vor allem sinkender Alterseinkommen sowie stärkerer Restriktionen bei Transfereinkommen" eher noch zunehmen wird. Die Großsiedlung sei zudem im gesamten ost- und mitteleuropäischen Raum die dominierende Wohnform, in Europa würden heute 200 Millionen Menschen in insgesamt 46 Millionen Wohnungen in Großsiedlungen leben.

Die zentrale Aufgabe sieht Freitag wie auch die Verantwortlichen der Hellersdorfer "Wohntheke" darin, Nachhaltigkeit in vier Bereichen zu gewährleisten: in ökologischer, ökonomischer, baukultureller und auch sozialer Hinsicht. In Großsiedlungen stelle sich die Frage der richtigen sozialen "Durchmischung", um Konflikte zu vermeiden - die im Übrigen niemals durch die Quartiere verursacht, sondern nur dort ausgetragen würden.

Die Großsiedlungen, so Freitag, seien jedenfalls kein "Auslaufmodell", sondern sie würden überall in Europa weitergebaut. Die Frage sei aber, nach welchem Leitbild dies geschehe. "Als privatisierter, abgeschotteter und gesicherter Raum, oder als offene, für alle nutzbare Stadtlandschaft - so wie hier in Hellersdorf." (Martin Putschögl aus Berlin, derStandard.at, 27.9.2010)