"Baut doch den Obi auf den Hofer oben drauf", spricht sich Gretner für kompakteres Bauen aus.

Foto: Grüne/Spielauer

Fachmann Seiß: "99 Prozent der Gemeinderäte können Flächenwidmungspläne nicht einmal lesen."

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Moderatorin Sigrid Pilz: "Stadtplanung ist die in Beton gegossene Philosophie einer Stadt."

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Einigkeit auf dem Podium: Die Wiener Bürger sollen mehr Einblick in die Bauvorhaben bekommen. Insofern habe Stadtplanung viel mit der demokratischen Kultur einer Stadt zu tun.

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Wien - "Stadtplanung ist die in Stein oder Beton gegossene Philosophie einer Stadt", eröffnete Grünen-Gemeinderätin Sigrid Pilz. Als Moderatorin sprang sie für die Wiener Obfrau Maria Vassilakou ein, die einen anderen Wahlkampftermin hatte. Thema des Abends im Museumsquartier: Stadtplanung. Und natürlich: Was kommt, wenn Grün kommt? Pilz: "Damit Sie die Grünen nicht im Sack kaufen."

Die Stadt Wien müsse "kompakt sein", sagte die grüne Planungssprecherin Sabine Gretner, "das meinen wir mit dem Stopp der Zersiedelung." Und: "Bei einer grünen Stadträtin würde es sicher keine neuen Kleingartensiedlungen auf der grünen Wiese geben." Gretner hat eine Reihe von Vorstellungen, wie man den SPÖ-geprägten Status Quo verbessern könnte. Ein paar ihrer Ideen diskutierte sie Mittwochabend unter der Moderation von Pilz mit dem Raumplaner Reinhard Seiß.

Dachflächen bleiben derzeit oft ungenutzt

Ein zentraler Punkt: kompaktes, effizientes Bauen. Wenn sie etwa sehe, wie ein Supermarkt neben einem Bauhaus errichtet werde und für beide je ein Parkplatz, denke sie sich über die SPÖ-dominierte Bauverwaltung: "Baut doch den Obi auf den Hofer oben drauf, aber geht nicht so mit der Stadtfläche um!"

In diesem Sinne spricht sich Gretner auch für eine bessere Nutzung von Dachflächen aus. Die könnte man zum einen begrünen, zum anderen mit Photovoltaik-Anlagen bespielen und so 30.000 Haushalte mit Energie versorgen. Oder die Balkone: Auch dank der Grünen sei es gelungen, dass seit der Neuverhandlung der Bauordnung "diese Idiotie beseitigt ist, dass straßenseitige Balkone verboten sind". Allerdings sind sie auch heute nur dann erlaubt, wenn Vorgärten darunter sind - was Gretner nach wie vor gerne ändern würde.

Flächenwidmungspläne in 3D

Abseits solcher konkret sichtbaren Versäumnisse der Wiener Stadtplanung plädiert Gretner dafür, Bauvorhaben transparenter und demokratischer zu machen. Eine 3D-Darstellung der Flächenwidmungspläne würde dem Durchschnittsbürger helfen, sich selbst in die Planung einzubringen.

"Das leuchtet, glaube ich, den meisten hier ein", fand Raumplaner Seiß fast nur Lob für Gretners Vorschläge. Denn: "99 Prozent der Abgeordneten im Gemeinderat können einen Flächenwidmungsplan nicht lesen, über den sie dann aber abstimmen."

Bürgersteige: Nur wenig Platz für den Bürger

Auch Seiß, Autor des Buchs "Wer baut Wien?", attestiert der Wiener Verwaltung Demokratiedefizite beim Planen und Bauen. Wie mit Freiräumen - in der Stadt sind das in erster Linie Gehsteige - umgegangen wird, sei auch "ein Indikator für die demokratische Gesinnung", sagt Seiß. "Die Wertschätzung einer Stadt für die Bürger spiegelt sich in den Bürgersteigen wider." Und im Vergleich zu anderen Weltstädten sei beklagenswert, "wie schmal die Gehsteige hier sind".

Gretner wies auch auf horrende Finanzsummen hin, welche die Stadt Wien bei Umwidmungen an Private "verschenkt". Wie bereits im derStandard.at-Interview zitierte sie das Beispiel München: Dort gebe es Verträge, die Grundstücksbesitzer im Falle einer Gewinn bringenden Umwidmung dazu zwingen, nur ein Drittel dieses Gewinns einzustreichen und zwei Drittel an die öffentliche Hand abzugeben. Konkretes Beispiel: Am Monte Laa wurden Flächen zu Baugründen umgewidmet - und waren damit über Nacht ein Vielfaches wert.

Gretner fordert "Planwertabgabe"

"Die Umwidmung schenkt einem Privaten etwas, die Stadt trägt aber die Kosten", kritisiert Gretner, die sich im Gespräch mit derStandard.at nicht auf eine Größenordnung festlegen will. "Zwischen einem Drittel und zwei Drittel könnte der Eigentümer von seinem Gewinn abtreten, damit könnten Schulen, Straßen und Kindergärten gebaut werden."

Raumplaner Seiß sieht auch "ein demokratiepolitisches Problem darin, wenn einer 100 Meter höher bauen darf als ein anderer". In den USA müssten Bauherren sogenannte "Air Rights" von den Anrainern ringsum kaufen, wenn sie höher bauen wollen. Viele amerikanische Großstädte seien hier sozialer und demokratischer als das sozialdemokratische Wien.

Hauseigentümer in die Pflicht nehmen

Auch die Wieder-Einführung der sogenannten "Leerstandsabgabe" kann sich Gretner vorstellen. Diese bedeutet, dass Hauseigentümer im Erdgeschoss einen Mieter finden müssen, sonst drohen Strafen. So soll verhindert werden, dass Geschäftslokale leer stehen, vielmehr würde man zur Vermietung anregen.

Die Leerstandsabgabe könnte aber selbst im Falle einer rot-grünen Stadtregierung Wunschdenken bleiben. Als Gretner den Vorschlag einbrachte, habe SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl sie eine Marxistin geheißen. (Lukas Kapeller, derStandard.at, 23.9.2010)