Lieblingsdarsteller der NS-Propagandaexperten: Ferdinand Marian (Tobias Moretti, li.) und sein "Regisseur" Joseph Goebbels (Moritz Bleibtreu) in Oskar Roehlers "Jud Süß - Film ohne Gewissen"

Foto: Thimfilm

Doch der Film über einen Schauspieler, der sich an die Nazis verkauft, scheitert an Unentschiedenheit.

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Wien - Veit Harlans Jud Süß (1939/40) war eines der übelsten antisemitischen Hetzwerke des NS-Propagandaapparats. Angesetzt im Württemberg des 18. Jahrhunderts, entwirft er die Fallgeschichte des Juden Joseph Süß Oppenheimer, der sich mit geschickten Manipulationen die Gunst des geldgierigen Herzogs Karl Alexander erwirkt. Schnell steigt er zu dessen Finanzbeamten auf, um aus dieser Position die eigene Macht (und die seines Volkes) zu erweitern. Am Ende wird Oppenheimer mehrerer Delikte (etwa der geschlechtlichen Vereinigung mit einer Christin) für schuldig befunden und gehängt.

Harlans Film war ein Prestigeprojekt von Joseph Goebbels, schon deshalb kann es nicht überraschen, wie unverhohlen er dessen ideologisches Programm übernahm: Die damalige Gegenwart war der Adressat. Jud Süß wurde zu einem großer Publikumserfolg und unter anderem auch zur Festigung der Moral von KZ-Wachpersonal eingesetzt. Bis heute ist der Film als "Vorbehaltsfilm" eingestuft, kann also nur in Veranstaltungen mit speziellen Einführungen vorgeführt werden.

Geschichtsbegradigung

Dies alles sollte man zumindest bedenken, wenn mit Oskar Roehlers (in Österreich koproduziertem) Jud Süß - Film ohne Gewissen nun ein Film in die Kinos kommt, der die Genese dieses Werks als Ausgangspunkt eines prominent besetzten Historienfilms wählt. Problematisch ist daran zunächst der schon auf der Berlinale im Jänner vom Harlan-Biografen Friedrich Knilli beklagte Umstand, dass sich der Film historische Freiheiten erlaubt, die einer "Legendenbildung" gleichkommen. Sie betrifft vor allem Ferdinand Marian, den Darsteller des Jud Süß, nunmehr die von Tobias Moretti verkörperte Hauptfigur des Films, der eine Wandlung vom Opportunisten zum Opfer des NS-Regimes erfährt. Bei Roehler endet er als geächtetes Wrack, niemand will mehr etwas von ihm wissen; in Wahrheit blieb Marian bis zu seinem Unfalltod aktiv und erfolgreich - selbst ein Entnazifizierungsverfahren war im Laufen.

Quentin Tarantino hat mit Inglourious Basterds gezeigt, dass es durchaus gewinnbringende ästhetische Ansätze gibt, um das Gebot einer historisch adäquaten Repräsentation zu unterlaufen - jenen pseudorealistischen Blick, der gerade das deutsche Kino so einengt. Dies lässt sich aber nur als Fantasie bewerkstelligen, die sich von den Fakten befreit. Roehler aber beharrt auf historischer Genauigkeit: Dass er Marians moralische Skrupel vor der Rolle mit einer halbjüdischen Ehefrau (Martina Gedeck) und einem jüdischen Komikerfreund (Heribert Sasse) - beide frei erfunden - erklärt, habe, sagt der Regisseur, allein dramaturgische Gründe.

Roehler, seit jeher ein Mann des Exzessiven, färbt das Geschehen in blasse Farben ein. Seine Handschrift tragen erst die grellen Effekte - unfreiwillig komisch sind etwa jene Szenen, in der Marian auf seinen Gegenspieler, die Karikatur eines wutschnaubenden Goebbels (Moritz Bleibtreu), trifft. Der Gedanke, der Schauspieler eigne sich aufgrund seiner sexuellen Anziehungskraft besonders gut für propagandistische Zwecke, ist noch der originellste: Er befördert den Film aber auch ins Reich der Kolportage. Ein opernhaft inszenierter Sexdienst Marians gehört jedoch in eine andere Ordnung als das psychologische Drama eines Mannes, der einen Pakt mit dem Bösen schließt und zu spät erkennt, dass er nur als Marionette dient.

Zwischen diesen widersprüchlichen Tonarten - einem Drama, das sich durch Übertreibung widerlegt, und einer Farce, die sich nicht weit genug vom Boden der Tatsachen entfernt - findet Jud Süß keine Position, schlimmer: keine Beglaubigung für sein Tun. Das Resultat ist ein zerrissener Film, der eher der Aufmerksamkeit halber die Nähe zu einem finsteren Werk sucht und in der Aufbereitung seiner Geschichte keinen Schritt weiter hilft. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD - Printausgabe, 21. September 2010)