Zum Wintersemester-Auftakt veranstaltet die "Werkstätte Kunstberufe" (Gallitzinstr. 1, 1160 Wien) am 21. September, um 19 Uhr, eine Podiumsdiskussion zum Thema "Lehrjahre. Zwischen Marktchancen und künstlerischem Anspruch: Ausbildungsvarianten für Schreibende".

Der Schriftsteller Robert Schindel ist Institutsvorstand des sechs Semester dauernden Bachelor-Studiums "Literarisches Schreiben" und leistet - zumindest in Österreich - "ein bisschen Pionierarbeit". 

 

Foto: Christian Fischer

Mit Mia Eidlhuber und Stefan Gmünder sprach er darüber, wie das gehen kann.

Standard: Sie haben als Institutsvorstand das erste Jahr "Literarisches Schreiben" hinter sich und starten im Herbst mit den neuen Studenten. Was sind bisher Ihre Erfahrungen?

Schindel: Wir leisten ein bisschen Pionierarbeit und müssen uns da und dort noch einen Pfad bahnen. Es gibt viel Unterstützung von den anderen Instituten. Es ist gut angelaufen, die Studierenden sind zufrieden. Wir versuchen hier technische Grundlagen des literarischen Schreibens zu vermitteln und die Leute gleichzeitig ihren eigenen Ton entwickeln lassen. Es gab viele Debatten rund um die Texte. Wir behandeln alle diese Texte mit Respekt. Kritik, die es geben muss, passiert sachlich. Die Stimmung ist gut. Mit 16 Studierenden haben wir begonnen, zwei haben aufgehört, weil sie in anderen Studien zu involviert waren. Jetzt sind es 14.

Standard: Wie alt sind die?

Schindel: Zwischen 18 und 26 Jahre. Wir würden auch Ältere nehmen, wenn die Voraussetzungen gegeben sind.

Standard: Es erreichen Sie jährlich rund 340 Einreichungen, nur 20 Studierende können dann aufgenommen werden. Wie erklären Sie sich das große Bedürfnis zu schreiben?

Schindel: Für das Individuum gibt eine große Überschwemmung an Anforderungen aus der Welt. Früher hat man bestimmte Mythologien verwendet, um das Bedrohliche auf das eigene Maß einzuarbeiten. Das fehlt heute. Daher erschaffen sich Menschen heute ihre private Mytho-Poesie, um mit diesen Anforderungen fertig zu werden. Es gibt heute wesentlich mehr, die Gedichte schreiben, als solche, die Gedichte lesen. Die Menschen wollen sich ausdrücken. Der Weg von diesem therapeutischen Bewältigungsverhalten zu einem Kunstwerk ist nicht einfach. Einen solchen Prozess zu begleiten ist unsere Aufgabe.

Standard: Früher war Schreiben eine Berufung. Dieser Studienlehrgang geht eher in die Richtung, dass es ein Beruf ist, so wie das Buch eine Ware. Junge Autoren werden heute extrem vermarktet. Sehen Sie das als Problem?

Schindel: Wir leben in einer beliebigen Welt. Es wird immer schwieriger, Sachverhalte für sich zu bewerten. Das ist der Vor- und der Nachteil von Demokratien. Das ist die eine Seite. Die andere Seite: Man kann in diesem Studium dieser Gefahr nicht viel entgegensetzen. Was wir machen wollen, ist, einen gewissen Schutz zu geben, da es in der Kunst immer um Leben und Tod geht. Dass jemand, der Kunst machen will, etwas riskieren muss, ist klar. Vielleicht etablieren sich drei, vier Autoren pro Jahrgang als Literaten, die anderen gehen in verwandte Bereiche wie Journalismus, Lektorat etc. Die Abgänger solcher Lehrgänge sind sehr beweglich, weil es zu einem immensen Bildungsschub kommt. Die Erfolgschancen sind also gut. Was wir versuchen: Vermehrt Vertreter aus dem Literaturbetrieb einzuladen, damit die Studenten auch über Agenten, Verlagsstrategien und Problematiken des Betriebs Bescheid wissen. Erfolg ist aber niemals planbar.

Standard: Also versteht sich der Lehrgang auch als Netzwerk für den zukünftigen Literaturbetrieb?

Schindel: In Maßen. Wir sind noch am Anfang. Wir könnten natürlich mit Verlagen Kooperationen eingehen, um die Besten des Jahrgangs zu publizieren. Das hat Vor- und Nachteile. Manche wollen sofort zu einem deutschen Verlag und schaffen das vielleicht auch. Wir wollen das Institut in der österreichischen und deutschen Verlagslandschaft bekannt machen, damit Interesse wächst. Wir möchten auch nicht eingängigen Texten ein Forum geben, etwa mit Sonderheften. Die Studierenden sollen hier nicht wie in einer geschützten Werkstätte agieren.

Standard: Sie waren lang Bachmann-Preis-Jury-Vorsitzender. In der letzten Zeit wurde beklagt, dass oft Abgänger von Journalistenschulen durchkommen, das zu sehr normierten Texten führe, aber in diesen Texten keinerlei radikale Lebensentwürfe, keine Kraft, keine Verstörung mehr spürbar sei.

Schindel: Sieht man sich etwa die Absolventen aus Leipzig an, gibt es sehr große Unterschiede. Da lässt sich nicht von einem Ton sprechen. Aber ich weiß, was Sie meinen: Was von diesen Instituten kommt, ist in aller Regel handwerklich gut. Handwerklich gutes Arbeiten birgt immer auch die Gefahr des Kunsthandwerks. Wir können keine Talente erzeugen, wir können vorhandenen Talenten ein Rüstzeug geben. Deshalb plädieren wir für ein weniger aufgeregtes Schreiben unter Laborbedingungen, um überhaupt einmal zu schauen, was man mit Sprache ausdrücken kann. Es gibt bei jungen Autoren oft die Tendenz, auf die Tube zu drücken und damit unliterarisch zu werden. Wir wollen für Studenten eine Basis schaffen, um ihr spezielles Talent, ihre Welt, ihre Dramatik, ihre Gebrochenheit zum Ausdruck zu bringen.

Standard: Das war jetzt gewissermaßen auch die Antwort darauf, ob Schreiben lehrbar ist?

Schindel: Ja. Die Studierenden müssen sich ständig mit eigenen und fremden Texten, mit denen großer Autoren und solchen von Kollegen auseinandersetzen, sprich ein Umgehen mit Texten lernen. Ein Genie, wie wir es etwa mit Shakespeare vor Augen haben, wird in keine dieser Konzeptionen passen. Talent und Genie können wir nicht beibringen. Das Genie kann man wahrscheinlich nicht einmal fördern, Talente können wir erkennen und in ihrer Individualität unterstützen.

Standard: Der Weg zur Literatur, zum Schriftsteller führt oft über das Lesen. Ist diese Begeisterung bei Ihren Studenten spürbar?

Schindel: Das sind alles belesene Menschen. Es gibt auch Ausnahmen. Natürlich machen wir Leselisten, wir setzen uns mit neuen Errungenschaften auseinander, diskutieren Trends, aber es ist unterschiedlich, was Menschen mit Lektüre machen. Es gibt passionierte Leser, die niemals schreiben.

Standard: Wenn man so einen Lehrgang mitträgt, wie erinnert man die eigene Schriftsteller-Werdung, die wahrscheinlich autodidaktischer passieren musste?

Schindel: Schon als ich vom Institut in Leipzig gehört habe, dachte ich mir: Wenn ich das mit zwanzig gehabt hätte, hätte ich mir ein paar Umwege erspart. Bei uns herrscht die Meinung: Es muss sich einer durchg'fretten. Aber es gibt viele, ein normales Leben lebende Schriftsteller, die keine Entbehrungen leiden und gute Arbeit machen, und dann gibt es die Kaffeehausliteraten, die ihre ganze Existenz einsetzen und ihr Leben nichts Gescheites zusammenbringen, die vielleicht irgendwann Respekt ernten, weil sie die Literatur gewissermaßen leben und dieses Leben durchleiden.

Standard: In Amerika sind Creative-Writing-Klassen seit langem selbstverständlich. Warum hat das hierzulande so lange gedauert?

Schindel: Im Deutschen ist der Geniebegriff zu Hause, das hat mit der Überschätzung der Innerlichkeit zu tun, mit den Folgen der Romantik, den unterentwickelten demokratischen Entwicklungen. Der Künstler ist einer, der zu leiden hat. Das merkt man auch in der deutschen Literatur.

Standard: Es gibt den Vorwurf, dass sich deutsche Literatur, im Gegensatz zur angelsächsischen, wenig mit Gesellschaftsproblemen befasst.

Schindel: Ich weiß nicht, ob dieser Vorwurf noch stimmt. Es gibt eine starke Verbundenheit der Schriftsteller mit der Gesellschaft und dem Volk in den angelsächsischen Ländern, auch in Frankreich und Russland. Wir haben die Künstler im Elfenbeinturm. Das Spitzweg-Bild über den armen Poeten ist typisch für das Bild des deutschsprachigen Schriftstellers. Aber vor allem durch die große Katastrophe in Mitteleuropa, durch die Nachkriegsliteratur, die entstanden ist, hat sich das geändert.

Standard: Sie sind auch Lyriker. Wie sehen Sie die Marktgängigkeit der Lyrik für die Zukunft?

Schindel: Wenn ich mir anschaue, dass Lyrik in den Feuilleton-Besprechungen immer mehr zurückgeht, könnte ich pessimistisch sein. Bin ich aber nicht, weil sich Lyrik stets in einem Auf und Ab befindet. Die Lyrik hat es schwer, aber sie wird nicht untergehen. Man müsste sich als Zeitung vielleicht eine Vorgabe geben. Von selber passiert sicher nichts, da werden überall nur dieselben sieben, acht Bücher besprochen, die gerade angesagt sind.

Standard: Sie haben von einer Leseliste für Ihre Studenten gesprochen. Welche drei Bücher nehmen Sie auf die berühmte einsame Insel mit?

Schindel: Meine eigenen nehme ich nicht mit, die kenne ich alle schon (lacht). Ein Buch von Celan, die Stücke von Shakespeare und die Novellen von Schnitzler. (DER STANDARD, Printausgabe, 18./19.9.2010)