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Szene an einer russisschen Universität: Vor der Untersuchung einer Mumie bietet es sich an, noch einmal sein Fachwissen aufzufrischen

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"Der Chirurg kann alles machen, weiß aber nichts. Der Internist weiß alles, kann aber nichts machen. Nur der Pathologe weiß alles und kann alles machen." Dieser medizinische Insiderschmäh trifft doppelt auf Dr. Jordan Cavanaugh zu. Die fesche, überall aneckende Pathologin aus der neuen US-TV-Serie Crossing Jordan darf auf VOX alles tun, was die Polizei verboten hat. Zum Beispiel, es mit der wissenschaftlichen Wahrheit nicht allzu genau zu nehmen: Jordan untersucht etwa noch einmal die Leiche einer jungen Frau, nachdem sie bereits tagelang im Kühlhaus gelegen hatte. "Ich finde heraus, wer dir das angetan hat", flüstert sie bewegt. Einer Eingebung folgend, beschaut sie den Körper der Leiche mittels UV-Lichts und entdeckt einen nur leicht sichtbaren Daumenabdruck am Oberarm. Der Abdruck führt zum Täter, der Täter wird entlarvt.

"Absolut unmöglich" sei das, meint Edith Tutsch-Bauer, Vorstand des Gerichtsmedizinischen Institutes in Salzburg. "Man kann im UV-Licht Sekretablagerungen erkennen, von Speichel oder Sperma, man kann auch bei einem Erwürgten die Würgemale sehen, aber sicher keinen Fingerabdruck."

Dass die Schauspieler in solchen Fällen stets eine Expertenmischung aus Polizisten und Medizinern darstellen, findet Tutsch-Bauer mindestens ebenso falsch. "Diese Vermischung gibt es nicht. Ein Pathologe ist ein Pathologe, ein Polizist ein Polizist und der Staatsanwalt wieder jemand anderer." Auch in den USA werden die Professionen streng getrennt, sagt sie und spielt auf eine andere Serie - C. S. I., den Tätern auf der Spur (ORF) - an: "In den USA gibt es den Beruf des Medical Examiners. Er ist für die Sicherung jener Spuren zuständig, die der Pathologe gefunden hat." Seit der Mordprozess gegen O. J. Simpson wegen schlampiger Spurensicherung zugunsten des Angeklagten ausging, seien US-Ermittler damit beschäftigt, jede Spur zu sichern und zu dokumentieren. Tutsch-Bauer: "Das grenzt an Besessenheit."

Die Disziplin zählt

Hans Bankl, Vorstand des Pathologischen Institutes im Krankenhaus St. Pölten und Autor populärwissenschaftlicher Bücher (Die kranken Habsburger), meint zu Crossing Jordan, die Pathologin, die ständig ihre Kompetenzen überschreite, gebe es in der Realität nicht: "Die Gerichtsmedizin funktioniert nur, wenn alle streng diszipliniert ihren Job erledigen." Sie sei in Wahrheit Knochenarbeit, die nach einem strengen Muster ablaufe. Im Fernsehen sei das zu glamourös und auch fehlerhaft dargestellt. Kommissar: "Doktor, wann ist er gestorben?" Gerichtsmediziner: "Das weiß ich noch nicht, warten Sie auf den Laborbericht in drei Tagen." Dialoge wie diese seien undenkbar. Bankl: "Wir sind immer die Ersten am Tatort. Die Spuren sind immer verwischt, es hat geregnet, vorbeifahrende Autos haben Täterabdrücke zerstört. Dann machen wir uns an die Arbeit. Wir messen die Lufttemperatur, die Körpertemperatur des Toten, nach einiger Zeit tun wir dasselbe noch einmal, zeichnen Temperaturkurven. Damit wissen wir sofort ziemlich genau, wann das Opfer gestorben ist."

Auch die weiteren Untersuchungen sind alles andere als spektakulär: Die DNA-Analyse (siehe Wissen) sei der letzte bahnbrechende Fortschritt in der Gerichtsmedizin gewesen, sagt Tutsch-Bauer. "Man kann ein komplettes Täterprofil aufgrund kleinster Spuren erstellen. Früher konnte man mit Speichel, Blutresten und Spermaspuren höchstens die Blutgruppe des Täters bestimmen." Sie selbst habe einmal aufgrund einer Hautschuppe, die sie unter dem Fingernagel einer Ermordeten in Salzburg fand, das Täterprofil so genau bestimmen können, dass die Polizei zweifelsfrei den zukünftigen Schwiegersohn als Mörder identifizieren konnte. Mit dem neuesten Trend in der Gerichtsmedizin, der Virtopsie, wird die Arbeit der Pathologen ganz unspektakulär im Vergleich zu Filmszenen, wie man sie aus Das Schweigen der Lämmer kennt. Bei dieser virtuellen Autopsie werden die Leichen in einen Kernspin-Tomografen geschoben, um auf diese Weise Aufschlüsse über die Todesart zu bekommen. Tutsch-Bauer: "Die Anhänger dieser Methode meinen, dass man damit das Aufschneiden vermeiden kann. Ich halte das für einen Rückschritt." Das tun Anhänger von dramatischen Szenen am Seziertisch wohl auch. (Petra Stuiber/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28. 4. 2003)