Hall in Tirol - Der deutsche Schriftsteller Georg Klein, sonst kein Mann der großen Worte und der Übertreibung, steht auf der Terrasse des Parkhotels und sagt: "Das ist das beste Literaturfestival zu dem ich je eingeladen wurde." Klein, der vergangenes Jahr für seinen Roman unserer Kindheit mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, muss es wissen, er kommt viel herum.

Dass die Literaturtage Sprachsalz, die letztes Wochenende zum achten Mal stattfanden, eine besondere Veranstaltung sind, hat sich mittlerweile nicht nur bei Autoren herumgesprochen. Zu tun hat das einerseits mit dem angenehmen Ambiente des Haller Parkhotels, wo - mit Blick auf Patscherkofel, Nordkette und Inntal - gelesen wird. Vor allem aber überzeugt Sprachsalz durch sein hochklassiges Programm, das Tradition mit Innovation, große Namen mit noch zu entdeckenden verschränkt und zuweilen vergessene Autoren wieder in Erinnerung ruft. So lasen heuer neben Franzobel, Monika Helfer, Erika Wimmer, Georg Klein und John Wray auch Schriftsteller, die man in Österreich nie, oder nur mehr selten zu sehen bekommt.

Den großen französischen Schriftsteller und Vertreter des Nouveau Roman Michel Butor (Jg. 1926) etwa. Der Spiegel nannte Butor, der Französischlehrer in Ägypten, England und Griechenland, Uni-Professor und Gallimard-Lektor war, einmal einen schreibenden Nomaden. Für drei Tage schlug er nun seine Zelte in Hall auf, um aus Der Zeitplan, seinem neu aufgelegten Kriminalroman ohne Verbrechen, zu lesen.

Dass Wut der Kunst noch nie geschadet hätte, meint Sigitas Parulskis. Der 44-jährige Litauer, den, wie er sagt, nur Gott und die Frauen interessieren, stellte den Roman Drei Sekunden Himmel vor, der nicht nur von der verlorenen Generation der in den 1960er-Jahren Geborenen (zu jung für 1968, zu alt für Rock 'n' Roll) handelt, sondern - Parulskis verarbeitet im Buch seine Zeit als Fallschirmspringer - auch als erstes Buch gilt, das die brutalen Zustände in der Sowjetarmee anspricht.

Keineswegs leiser und wutloser ist auch der 88-jährige Georg Kreisler geworden, der über Lyrik, Kritiker, sowie politische Zustände sprach und mit Barbara Peters Liedtexte wie "Taubenvergiften im Park" oder, leicht modifiziert, "Wien ohne Wiener" las. Ein Highlight, das von jungem Publikum gestürmt wurde und eindrücklich die Kreisler-Renaissance der letzten Jahre unterstrich.

Um Wut, Herzbrüche und Sinnkrisen ging es bei Peh (alias Paula Gelbke), der Entdeckung dieses Festivals. Sie gilt als Königin des deutschen Poetry Slams und ließ mit ihren fulminanten Auftritten eine Ahnung davon aufkommen, dass es sich bei Slam-Texten um ein unterschätztes Genre der deutschsprachigen Literatur bzw. Lyrik handelt. Sprachsalz 2010 war ein gelungenes Festival, das nur vom überraschenden Abgang des langjährigen Mitorganisators Robert Renk getrübt wurde.  (Stefan Gmünder, DER STANDARD - Printausgabe, 15. September 2010)