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James S. Gordon: "Ich war auch während der Kämpfe zwischen Hamas und Fatah in Gaza, auch damals gab es keine Probleme, weil wir unabhängig und neutral sind."

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10.000 Palästinenser haben im Gaza-Streifen an den Kursen von Gordon teilgenommen.

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Dieses Bild zeigt Dr. Gordon während eines Kurses: "Wenn man den Menschen zuhört und ihnen Gelegenheit gibt, offen zu sprechen, wenn sie etwas stört, hat man mit kulturellen Unterschieden keine Probleme."

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"Ich habe das Gefühl, dass sich Frauen einfach mehr für diesen Prozess der Selbstentdeckung interessieren. Und das ist ein gutes Zeichen, weil Frauen das Fundament jeder Gesellschaft sind."

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"Wir wollen Menschen ausbilden, damit sie vor Ort in ihrer Gesellschaft sich selbst und anderen Menschen helfen können", sagt der Psychiater James S. Gordon (68), der 1991 das Center for Mind-Body Medicine (CMBM) in Washington gegründet hat und seither Therapien für Traumapatienten in Krisengebieten wie dem Nahen Osten und dem Balkan durchführt. Seit 2002 reist der US-Amerikaner regelmäßig in den Gazastreifen und bietet Gewalt- und Kriegsopfern Hilfe zur Selbsthilfe. Auch Opfer von Raketenangriffen radikaler Palästinensergruppen in Israel wurden nach der CMBM-Methode behandelt. 10.000 Menschen haben alleine in Gaza an den kostenlosen Kursen teilgenommen. Mittels Atem- und Meditationsübungen sollen Palästinenser Auswege aus dem alltäglichen Stress einer Krisenregion finden und "neue Hoffnung und Perspektiven entdecken". Im derStandard.at-Interview erklärt James S. Gordon, wie es dazu kam.

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derStandard.at: Sie haben mit Kriegsopfern in Gaza und in Israel gearbeitet. Was verbindet sie?

James S. Gordon: Zunächst hat wahrscheinlich jeder Mensch, der unter dem Verlust naher Angehöriger leidet, mit sehr ähnlichen Symptomen zu kämpfen. Die meisten Menschen leiden an so genannten post-traumatischen Stressstörungen, wenn sie Familienangehörige verloren haben, wenn ihr Haus zerstört wurde oder wenn sie sich permanent bedroht fühlen. Das ist einfach Teil des menschlichen Wesens. Ein Israeli, der seinen Sohn durch eine Hamas-Bombe in Tel Aviv verliert und ein Palästinenser, dessen Sohn bei einem israelischen Angriff in Khan Younis (Stadt im Gazastreifen, Anm.) ums Leben kommt, zeigen sehr ähnliche Symptome des Leidens.

derStandard.at: Und die Unterschiede?

Gordon: Der Unterschied liegt im allgemeinen Zustand der Gesellschaft, sowohl in ökonomischer Sicht als auch, was den dauerhaften Stress betrifft, dem ein Mensch in Gaza unterworfen ist. Andererseits habe ich in Gaza auch einen sehr starken Familienzusammenhalt beobachtet, wo man sich gegenseitig unterstützt. Aber klarerweise ist der Verlust von Angehörigen, ein zerstörtes Haus, Arbeitslosigkeit und die allgemeine Isolation des Gazastreifens eine furchtbare Kombination für die Psyche eines Menschen.

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derStandard.at: Wie erfahren Menschen etwa in Gaza von Ihren Therapien?

Gordon: Meistens geht das über Mundpropaganda durch Ärzte, Krankenschwestern, Psychologen oder Berater, die die Effekte unserer Arbeit schon selbst erlebt haben und die den Menschen sagen, es habe ihnen selbst geholfen und dürfte anderen auch gut tun. Unsere Arbeit wird auch immer bekannter, wir haben 240 Menschen in Gaza ausgebildet, die in jeder größeren Gesundheitseinrichtung des Gebiets arbeiten. Sehr wichtig dabei ist, dass kein Stigma transportiert wird. Die Leute müssen wissen, dass man nicht verrückt ist, wenn man Kriegsopfer ist und eine post-traumatische Störung hat. Kriegsopfer können dabei lernen, besser auf sich und ihre Psyche zu achten.

derStandard.at: Wer bezahlt Sie?

Gordon: Der wichtigste Sponsor unserer Arbeit in Gaza sind die "Atlantic Philantropies" (US-Privatstiftung, die Sozialprojekte finanziert, Anm.). In Israel wurden wir vom Bildungsministerium unterstützt, im Kosovo vom Gesundheitsministerium, in den USA vom Verteidigungsministerium. Wir bekommen aber auch von privaten Spendern Geld, von Menschen, die unsere Arbeit nicht nur als regionale Notwendigkeit betrachten, sondern als Weg zu globaler Heilung.

derStandard.at: Haben Sie sich jemals nicht willkommen gefühlt, etwa durch die regierende Hamas im Gazastreifen?

Gordon: Regierungen sind ja auch nur Bürokratien und haben meist andere Dinge zu tun als mich willkommen zu heißen. Aber ich habe mich auch im Gazastreifen nie unerwünscht gefühlt, das Gesundheitsministerium hat uns immer unterstützt, sowohl unter der Fatah-Regierung als auch unter der Hamas. Auch in Israel und im Kosovo haben die Regierungen erkannt, dass wir helfen wollen und ernsthafte wissenschaftliche Fundamente unserer Arbeit vorweisen können. Ich war auch während der Kämpfe zwischen Hamas und Fatah in Gaza, auch damals gab es keine Probleme, weil wir unabhängig und neutral sind.

derStandard.at: Nehmen auch Frauen an Ihren Sitzungen teil?

Gordon: Als wir in Gaza angefangen haben waren etwa dreißig Prozent der Teilnehmer Frauen. Kürzlich hatten wir eine Sitzung mit mehr als 150 Teilnehmern, sechzig Prozent davon weiblich. Etwa ein Drittel unserer Trainer sind Frauen, diese Zahlen stimmen weltweit überein, sowohl in Israel und den USA als auch in Gaza. Ich habe das Gefühl, dass sich Frauen einfach mehr für diesen Prozess der Selbstentdeckung interessieren. Und das ist ein gutes Zeichen, weil Frauen das Fundament jeder Gesellschaft sind.

derStandard.at: Wie passen Sie Ihre Therapien der jeweiligen Region an, in der Sie sie anwenden?

Gordon: Grundsätzlich lehren wir eine universelle Sprache der Selbsterkenntnis und der Selbstachtung. Wir haben große Teile davon aus verschiedenen kulturellen, religiösen und spirituellen Richtungen übernommen, christliche, jüdische, islamische, buddhistische, hinduistische und ur-amerikanische Traditionen eingebaut. In unserem Führungsteam sitzen einige sehr ernsthafte islamische Gelehrte, die in unseren Therapien Elemente ihrer Religion wiedererkennen.

Natürlich gibt es einige Dinge, die wir der Gegend anpassen, zum Beispiel dürfen in einer strikten islamischen Gesellschaft wie dem Gazastreifen Männer und Frauen nicht miteinander tanzen. Darauf können wir aber nicht verzichten, weswegen wir Männer und Frauen in getrennten Räumen tanzen lassen. Wir passen auch die Musik, die während der Therapie gespielt wird, auf die jeweilige Kultur an. Auch so manche Yoga-Position wird mancherorten als unpassend empfunden, darauf gehen wir natürlich ein. Wenn man den Menschen zuhört und ihnen Gelegenheit gibt, offen zu sprechen, wenn sie etwas stört, hat man mit kulturellen Unterschieden keine Probleme. (flon/derStandard.at, 13.9.2010)