Muhamed Mesic am Donaukanal: "Ich verfalle oft selbst in einen starken Dialekt, wenn ich mich inoffiziell unterhalte."

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Öfter bin ich Austrianer, also Fan des FK Austria, genannt worden als Tschusch oder Ausländer. Dadurch begeben sich aber die Leute bloß selbst in die dazu passende Schublade. Seit acht Jahren wohne ich in dieser wunderschönen Stadt, und obwohl ich oft auf Reisen bin, ist hier mein Zuhause, das auf den ersten Blick meine große Liebe geworden ist. Wien ist für mich das Horr-Stadion, die Donauinsel, das saubere Trinkwasser, Tschetschenisch und Kärntnerisch auf der Straße zu hören: all das und genau deswegen. Ich bin in Bosnien aufgewachsen, wir hatten muslimische, christliche und jüdische Nachbarn, gefeiert wurde Weihnachten genauso wie Ramadan, bis die Ausschlusspolitik im ehemaligen Jugoslawien zum Krieg führte.

Reden mit jedem

Jus, Japanologie und Judaistik habe ich studiert, fehlt nur noch Jagd- und Forststudium - das beginnt ja auch mit einem J. Aber nein, das wäre wohl doch nichts für mich, da würde ich lieber lernen, mich mit den Tieren zu verständigen. Fremdsprachen lerne ich ja auch, um andere verstehen zu können, und mittlerweile kann ich mich in 56 Sprachen verständigen, in zwölf davon fließend. In der FM4 Morning Show versuche ich auch manche Ausdrücke aus den verschiedenen Sprachen zu erläutern, ich liebe es, mich mit dem Phänomen Wortentstehung und Wortdeutung zu beschäftigen.

Alles, was als Identität entsteht, egal ob die eines Staates, einer Kultur oder einer bestimmten Sprache, ist sowieso rein das Ergebnis geschichtlicher Zufälle. Die beste Art, mit anderen Menschen ein Zusammenleben aufzubauen, ist einfach sie kennenzulernen, anstatt Angst und Vorurteile zu haben. Die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kulturen und Muttersprachen zu akzeptieren ist der einzige Weg, auch für Wien.

Spannender Dialekt

Für mich als Sprachfreak sind die österreichischen Dialekte spannend. Öfter verfalle ich selbst in einen starken Dialekt, wenn ich mich inoffiziell unterhalte. Wenn man allerdings damit beabsichtigt, andere auszuschließen, finde ich es wiederum interessant, weil viele Vokabel, vor allem im Wienerischen, eigentlich aus anderen Sprachen übernommen wurden. Etwa "Ganove" aus dem Hebräischen, "Zwutschkerl" aus dem Slawischen oder "Palatschinke" aus dem Rumänischen: Viele Begriffe sind genau das Gegenteil von exklusiv.

In Wien zu leben und Wien zu lieben heißt selbstverständlich auch, die hiesigen Normen zu respektieren. Andererseits: Jemandem aufgrund seines Vornamens "was hast du denn hier verloren" zu bedeuten - egal in welcher Form -, und das passiert mir übrigens hin und wieder, halte ich für nicht angebracht. Genauso ärgert es mich, wenn man meine Vorteile als hellhäutiger, blauäugiger Europäer betont, denn das heißt ja gleichzeitig, dass solche visuellen Kriterien für jemand anderen von Nachteil sind.

Meinen Namen würde ich nie ändern, den habe ich von meinen Eltern, und auch nicht meine Identität. Ich bin eben vieles: Aktivist, Akademiker, Austrianer mit bosnischer Muttersprache und einer Mehrfachidentität. Mit anderen Worten: Ich kann nicht weniger werden, als ich jetzt schon bin. (Jelena Andjelkovic, DER STANDARD-Printausgabe, 4./5. 9. 2010)