Dresden - Beim Antrittsbesuch des neuen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff im sächsischen Landtag hat die rechtsextremistische NDP am Mittwoch für einen Eklat gesorgt. NPD-Abgeordnete hielten während der Ansprache Plakate hoch, auf denen es hieß: "Alle wissen: Sarrazin hat Recht". Fraktionschef Holger Apfel versuchte zudem, die Rede durch Zwischenrufe zu stören. Mehrere Saalordner mussten einschreiten, um die offenkundig vorbereitete Provokation zu beenden. Wulff ging auf den Zwischenfall nicht ein und hielt eine Rede zum Thema Bildungspolitik.

Thilo Sarrazin, SPD- und Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, hatte mit umstrittenen Äußerungen und dem Buch "Deutschland schafft sich ab" für Polemiken gesorgt. Unter anderem erklärte er, Integrationsprobleme zeigten sich praktisch ausschließlich bei Einwanderern aus muslimisch geprägten Ländern. Der Islam präge sie in einer Weise, die mit der Lebensweise und den kulturellen Werten einer säkularen westlichen Gesellschaft nicht kompatibel sei. Zudem vertritt Sarrazin die Ansicht, innerhalb von Volksgruppen bestünden genetische Gemeinsamkeiten, auch Juden teilten ein bestimmtes Gen.

Sarrazin bei Berliner Literaturfestival ausgeladen

Sarrazin ist unterdessen vom Internationalen Literaturfestival in Berlin ausgeladen worden. Festivalleiter Ulrich Schreiber sagte am Mittwoch bei der Vorstellung des Programms, man habe sich entschieden, Sarrazin nicht innerhalb des Festivals zu präsentieren.

Das Haus der Kulturen der Welt habe die Veranstaltung nicht ohne einen Gegenpart für den umstrittenen Buchautor organisieren wollen. Nun gebe es Überlegungen, die geplante Buchvorstellung vor oder nach dem Festival zu veranstalten. Sarrazin sollte am 25. September zum Thema "Zukunft Deutschland" sprechen.

Demografen weisen Theorien zurück

Mit einem klaren "Das ist falsch" kommentierten Wissenschafter bei der noch bis Samstag in Wien stattfindenden "European Population Conference 2010" Aussagen des deutschen Bundesbank-Vorstands Thilo Sarrazin, wonach Deutschland unter anderem durch die Einwanderung "auf natürlichem Wege immer dümmer" werde. Sarrazin argumentiert in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab", dass sich das schwächere Bildungsniveau vieler Zuwanderer gepaart mit höherer Fertilität negativ auf das Bildungsniveau auswirke und verweist auf wissenschaftliche Studien.

Der Fehler an Sarrazins Argumentation ist laut dem niederländischen Demografen Frans Willekens vom Netherlands Interdisciplinary Demographic Institute (NIDI) alleine schon der Umstand, dass sich die Fertilität von Migranten innerhalb von wenigen Generationen an das Gastland anpasse. Das Klischee der kinderreichen Zuwandererfamilien werde sich damit nicht aufrechterhalten lassen. Außerdem sei es nicht gesagt, dass alle Menschen in jener Bildungsschicht bleiben, in der sie aufgewachsen sind. "Wenngleich das derzeitige Bildungssystem den sozialen Aufstieg nicht gerade förderlich ist", räumte Willekens am Mittwoch bei einer Pressekonferenz anlässlich des Demografie-Kongresses ein.

Wolfgang Lutz, Direktor des Instituts für Demografie der Akademie der Wissenschaften (ÖAW), verwies auf den Umstand, dass in den 1960er und 1970er etwa durch Österreich bewusst Einwanderer aus niederen Bildungsschichten ihrer Heimatländer angeworben wurden. Dabei könnte dieses Manko der mangelnden Bildung sehr rasch behoben werden, es bedürfe dafür allerdings eines massiven Investments in die Förderung der zweiten und dritten Generation der Zuwanderer. (red/APA/apn)