"Holt uns bitte hier raus", hatte einer der seit bald vier Wochen in einer chilenischen Mine eingeschlossenen Bergarbeiter auf dem ersten Video aus der Tiefe gefleht. Seit am 5. August ein Stollen in der Kupfer- und Goldmine einstürzte, sind die 33 Bergleute in dem dunklen Verlies 700 Meter unter der Atacama-Wüste eingekerkert. Seit Montag gibt es endlich Hoffnung in der Hölle: Ein Spezialbohrer begann, einen Rettungsschacht in die Tiefe zu fräsen. Durch ihn sollen die Männer einer nach dem anderen an die Oberfläche gezogen werden.

Dutzende Angehörige brachen in der bitterkalten Wüstennacht in Jubel aus und fielen sich mit Tränen in den Augen in die Arme. Sie campieren seit Wochen trotz des harschen Klimas in einer der trockensten Wüsten der Welt in einem Zeltlager bei der Mine, das sie "Esperanza" (Hoffnung) getauft haben.

Am Sonntag hatten sie erstmals kurz über ein Telefonkabel mit den Eingeschlossenen sprechen können. "Ich wünsche meinem Mann Kraft, dass er die Zeit übersteht", sagte eine Frau im chilenischen Fernsehen, die sich mit einer Wollmütze und dicker Daunenjacke gegen die Kälte schützte. "Kraft und Glauben", ritzte einer in einen Felsen ein. An Paletten befestigten die Menschen Poster mit Fotos der Eingeschlossenen und allen guten Wünschen für eine glückliche Rettung. Sie wirken jede für sich wie ein kleiner Schrein und sind wohl auch so gedacht. Nachts brennen Lagerfeuer.

Die Kumpel in der Tiefe werden jedoch noch eine bleierne Ewigkeit in 30 Grad Hitze überstehen müssen, bevor von wirklicher Rettung die Rede sein kann. Wenn alles gut gehe, könnten die Eingeschlossenen zu Weihnachten wieder bei ihren Familien sein, versuchte Präsident Sebastian Pinera die fast unfassbar lange Zeit des Wartens von etwa vier Monaten weniger erschreckend erscheinen zu lassen.

Spezialbohrer

Jeden Tag wird sich der Spezialbohrer "Strata 950" 8 bis 15 Meter tiefer ins Gestein fressen. Ein nur kurz vor Bohrbeginn aus Deutschland eingetroffener Bohrkopf und ein zusätzlicher Antriebsmotor sollen die Bohrzeit verkürzen. Der entstehende Kanal ist etwa 40 Zentimeter breit und wird in einem zweiten Bohrgang auf 66 bis 70 Zentimeter erweitert. Rein rechnerisch sind das für zwei Bohrgänge schon etwa 120 Tage.

Erst dann können die Männer in einem Korb nach oben gezogen werden. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Rettungsbombe, wie sie auch 1963 beim Grubenunglück von Lengede eingesetzt wurde. Eine zweite Bohrung soll in Kürze beginnen, das Gerät ist schon unterwegs, aber anfängliche Hoffnungen, die Eingeschlossenen so schon in zwei Monaten retten zu können, haben Experten inzwischen dementiert.

Lebensmittel, Trinkwasser und Medikamente gelangen durch enge Versorgungsröhren zu den Eingeschlossenen. Auch schriftliche Nachrichten der Angehörigen gelangen so in die Tiefe. Allerdings müssen die Versorgungsgüter möglichst steril sein, um eine Erkrankung der Kumpel zu vermeiden. Vorsorglich impften sie sich sogar gegenseitig gegen Tetanus und Diphtherie.

Psychischer Druck

Die größte Sorge der Behörden ist der psychische Druck, dem die Eingeschlossenen ausgesetzt sind. Psychologen betreuen die Männer, von denen einige zeitweise unter einer beginnenden Depression litten. Andere klagten über Probleme wegen des Alkoholentzuges. Die Behörden weigern sich jedoch, Alkohol oder Tabak in die Tiefe zu schicken. Stattdessen wird versucht, die Männer durch einen strikten Tag- und Nachrhythmus sowie feste Arbeitsschichten beschäftigt zu halten.

Die Verschütteten müssen auf jeden Fall körperlich fit bleiben, denn besonders in der zweiten Bohrphase kommt Knochenarbeit auf sie zu. Große Mengen Gestein werden dann während mehrerer Wochen beim Bohren durch den Schacht nach unten fallen. Diese Geröllmassen können nur die Eingeschlossenen selbst beiseite räumen. Das Arbeitsgerät dafür sei in der Tiefe vorhanden, versicherte der Ingenieur Andre Sougarret. "Die Rettung ist technisch möglich. Fraglich ist nur, ob die Männer so lange durchhalten", fügte er hinzu. (APA)