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"Federer und Nadal spielen auf einem zu hohen Level und sind für mich unerreichbar."

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Standard: Es muss ein gutes Gefühl sein, als zweiter österreichischer Tennisspieler nach Thomas Muster ausgesorgt zu haben. Sie haben die Preisgeldgrenze von fünf Millionen Dollar überschritten. Bitte sagen Sie nicht, dass es ausschließlich um den sportlichen Erfolg geht.

Melzer: Das sage ich eh nicht. Aber was heißt ausgesorgt?

Standard: Fünf Millionen Dollar.

Melzer: Es ist nicht so, dass ich mir eine Villa hinstellen könnte und bis zum Lebensende pro Monat 10.000 Euro zur Verfügung hätte.

Standard: Vielleicht ist das ja auch gut so. Immerhin wird eine Leere nach der Karriere vermieden, oder?

Melzer: Ja und nein. Ich bin zum Glück so bodenständig aufgewachsen und erzogen worden, dass ich mit dem Geld, das ich verdiene, später keine Probleme haben werde. Aber nicht, weil es so viel ist, sondern weil ich damit umgehen kann. Bei der Vorstellung, was von fünf Millionen übrigbleibt, wird einem übrigens schlecht. Steuern, Betreuerstab, Reisekosten. Aber ich nage nicht am Hungertuch, ich werde einmal ein schönes Leben haben.

Standard: Das gegenwärtige Leben ist auch schön. Sie wurden jahrelang gefragt, warum Sie Fünfsatzpartien verlieren, die Nerven wegschmeißen und unter Ihren Möglichkeiten bleiben. Jetzt dürfen Sie darüber reden, wie es ist, im Halbfinale der French Open zu stehen, das Doppel in Wimbledon zu gewinnen, die Nummer 15 der Welt zu sein. Ein Kulturschock?

Melzer: Es macht Spaß, über Positives zu sprechen. Was in den vergangenen zehn Monaten passiert ist, ist für mich nicht wirklich realisierbar. Wimbledonsieger muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Im Einzel Nummer 15. Im Doppel Nummer acht. Auch das fühlt sich gut an.

Standard: Ende Juli haben Sie allerdings das Finale in Hamburg gegen Golubjew verloren. Er war die Nummer 82, Sie galten erstmals in einem Endspiel als Favorit. Wie sehr schmerzte die Niederlage?

Melzer: Sie war zu verkraften, weil er einen sauguten Tag erwischt hat. Mir blieb nach einer Phase der Enttäuschung die Bestätigung, dass ich auf einem Level angelangt bin, das Turniersiege zumindest möglich macht.

Standard: Sie schafften den Durchbruch erst in einem für Sportler relativ fortgeschrittenen Alter. Gab es Schlüsselerlebnisse, die diesen letzten oder vielleicht auch vorletzten Schritt ermöglicht haben?

Melzer: Es passiert, aber natürlich fragt man sich, warum? Der Sieg 2009 in Wien ist echt nur passiert. Ich bin ins Turnier nicht gut reingekommen, aber auf einmal ist etwas entstanden. Im Finale hab ich den Topmann Cilic dominiert. Von diesem Zeitpunkt an wusste ich, dass sich der Melzer auf den Melzer verlassen kann. Man denkt an viele Sachen, sucht nach Antworten.

Standard: Die wären?

Melzer: Es gab viele Leute, die sich um mein Selbstvertrauen gekümmert haben. Die Zusammenarbeit mit Ronald Leitgeb war wichtig, wer mit Muster die Nummer eins wird, weiß, wovon er spricht. Die Arbeit, die ich mit Trainer Joakim Nyström über Jahre reingesteckt habe, trug auf einmal Früchte. Nicht zu vergessen ist der Ingo Neumüller, mit dem habe ich Unmengen an Stunden auf dem Tennisplatz verbracht. Wir haben depperte Crossübungen gemacht, damit meine Schläge sicherer werden. Und so habe ich, sei es bewusst oder unbewusst, gelernt, an mich zu glauben, mir zu vertrauen. Gerade in Situationen, in denen ich früher gewackelt und gezweifelt habe.

Standard: Sie hatten lange Zeit eine Mentalbetreuerin. Erst nach der Trennung wurden Sie zum Siegertyp. Wurden die Probleme eher zerredet als gelöst?

Melzer: So will ich das nicht sagen. Aber es hat sicher geholfen, mich wegzukapseln.

Standard: Das Umfeld passt jetzt. Dauerte die Suche zu lange?

Melzer: Im Nachhinein ist man immer gescheiter. Es ist jetzt wurscht. Könnte ich es noch einmal machen, hätte ich Nyström zwei Jahre früher engagiert.

Standard: Es gab Phasen, in denen Sie Tennis genervt hat. Stellten Sie die Sinnfrage?

Melzer: Jeder hat irgendwann keinen Bock, auch der Arzt oder der Bäcker. Trotzdem machen sie weiter. Andere merken die Krisen gar nicht. Bei uns fällt man in der Rangliste zurück, da wird es halt offensichtlich.

Standard: Werden Ihre Erfolge zu wenig beachtet? Tennis wird kaum übertragen, österreichische Turniere sperren zu, Sponsoren springen ab. Das Comeback des 42-jährigen Muster erregte fast mehr Aufmerksamkeit. Woran liegt das?

Melzer: Es ist sicher daran gelegen, dass wir nach Muster nie wirklich einen Topspieler hatten. Einen, der dort steht, wo ich jetzt stehe. Die Pause war zu lange. Es gab trotzdem Erfolge, Stefan Koubek war im Viertelfinale der Australian Open. Aber es ging medial unter. Es wurde auch von unserer Seite schlecht verkauft. Der Tennisverband hat nicht die Professionalität eines Ski- oder sogar Fußballverbandes. Ich habe unlängst im Hanappi-Stadion Rapid gegen Salzburg gesehen, da war die Stimmung toll. Aber Rapid gibt es halt schon ewig, den Melzer nicht. Und wenn der Melzer geht, gibt es Rapid immer noch.

Standard: Polarisieren Sie zu wenig?

Melzer: Vielleicht. Aber man ist, wie man ist. Ich lehne mich nicht aus dem Fenster und schreie, dass ich der Beste bin. Ich schimpfe niemanden. Ich baute eine eigene Wand um mich auf.

Standard: Der Boom des Tennis in den Neunzigern hatte ja nicht nur mit sportlichen Erfolgen zu tun. Die Streitereien zwischen Muster, Skoff und Antonitsch trugen einen Teil zur Popularität bei.

Melzer: Stimmt, die drei haben sich befetzt. Natürlich hilft das und steigert die Präsenz, aber damit kann ich nicht dienen.

Standard: Durch Ihre Beziehung zu Schwimmerin Mirna Jukic schafften Sie immerhin den Sprung in die Klatschspalten. Auf einmal ist man in der Seitenblicke-Gesellschaft. Wie geht man damit um?

Melzer: Ich sehe mich lieber auf den Sportseiten. Aber wir haben das Private gut im Griff, wahren die Intimsphäre. Lese ich, Mirna ist schwanger, weil das Kleid blöd fallt, nehme ich das amüsiert zur Kenntnis. Wir leben in einem Land, in dem es Zurückhaltung gibt. In Österreich wartet nicht hinter jedem Baum ein Paparazzi.

Standard: Muster möchte Grenzen ausloten. Wo liegen Ihre? Vor einem Jahr sagten sie, Roger Federer und Rafael Nadal seien unerreichbar. Gilt das immer noch?

Melzer: An bestimmten Tagen vielleicht nicht, aber im Prinzip schon. Sind die beiden gesund und motiviert, spielen sie auf einem zu hohen Level und sind für mich unerreichbar. Aber natürlich denke ich an die Top Ten.

Standard: Es wird von Sportmedizinern behauptet, ein Spitzenathlet könne zwölf Jahre lang Höchstleitungen bringen. Sie sind 2000 Profi geworden. Bleiben noch zwei Jahre. Gibt es ein Abschiedsszenario?

Melzer: Merke ich, dass es keinen Spaß mehr macht, ist es aus. Oder wenn der Körper keine Leistungen zulässt. Quälst du dich aus dem Bett und bist du nicht mehr in der Lage, ein Match schmerzfrei zu bestreiten, ist Schluss. Mit 33 oder 34 werde ich aufhören.

Standard: Ihre Erwartungen für die US Open?

Melzer: Ich brauche kein Losglück mehr. Bleibe ich gesund, ist das Viertelfinale drinnen. Dieses Ziel darf und muss ich mir stecken.