Bild nicht mehr verfügbar.

"Die absurde Gewalt nervt mich auch gewaltig."

Foto: De Viguerie / Getty Images

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Pressemann der Mafiosi, Taliban oder Piraten muss mir den Schutz des obersten Chefs garantieren. Ohne diese Zusage starte ich nicht. Der Segen wirkt aber nicht ewig. Nigerianische Kämpfer der Gruppe MEND (Mouvement for the Emancipation of the Niger Delta), die angeblich für die Rechte der Bewohner des Nigerdeltas kämpft, dabei aber auch ihre eigenen finanziellen Interessen im Auge hat, in einem Mangrovenwald.

Foto: De Viguerie / Getty Images

Große Augen habe der Taliban gemacht, als ihm klar geworden sei, dass er eine Frau vor sich habe. Aber schließlich sei der Gotteskrieger fast erleichtert gewesen, dass unter Burka ein weibliches Wesen steckte, nicht einer jener männlichen Fotografen, die in Afghanistan öfters unter dem Vollschleier reisen. Véronique de Viguerie (31) muss in ihrer kleinen, wenig benutzten Pariser Wohnung selbst lachen, als sie die Episode erzählt. "Westliche Männer haben es schwerer, da sie von den Taliban grundsätzlich in den gleichen Topf geworfen werden, ob Soldat oder Fotograf", fügt sie an. "Bei Frauen wird eher ein Unterschied gemacht."

Vor allem, wenn es sich um ein kleines Energiebündel mit blonden Strähnen handelt. De Viguerie schien nicht unbedingt gemacht für das Kriegsfotografen-Metier. Aus dem südfranzösischen Carcassonne stammend, studierte sie an der Pariser Sorbonne Jus. Nach dem Abschluss verreiste sie zum Sprachstudium nach England und landete bei einem Lokalblatt, dem Lincolnshire Echo. Nach einer Ausbildung in Fotojournalismus konnte sie einmal mit der britischen Armee "embedded" (kontrolliert) nach Afghanistan reisen.

"Dann brach sie in Tränen aus"

Dann nahm sie die Dinge selbst in die Hand. 2004 kaufte die 26-jährige Novizin ein paar neue Objektive, packte ihre Kameras und zwei Paar Jeans und flog nach Kabul. Im Flugzeug brach sie in Tränen aus, als sie realisierte, dass sie nicht einmal wusste, was sie am Flughafenausgang der afghanischen Hauptstadt anstellen sollte. Sie kannte niemanden, hatte kein Geld.

Zum Glück traf sie noch auf dem Flug eine andere Französin, deren Onkel in Kabul ein Restaurant führte. De Viguerie fand dort Arbeit; daneben machte sie erste Fotoreportagen. Einmal saß sie in Kabul in einem Internetcafé, als ein Kamikaze-Taliban hereinkam und sich in die Luft sprengte. Ihre Sitznachbarn neben und hinter ihr waren tot, sie selbst überlebte unbeschadet. Sie blieb insgesamt drei Jahre in Kabul. "Ich verdaue solche Dinge ziemlich gut", sagt sie zu dem Bombenanschlag, als würde sie Auskunft geben, ob sie afghanisches Doogh-Joghurt möge. In Frankreich wurde de Viguerie im August 2008 über Nacht bekannt, als zehn französische Soldaten im afghanischen Uzbin-Tal in einen Hinterhalt gerieten und von den Taliban massakriert wurden. Die Illustrierte Paris Match schickte die Französin auf Eilreportage. Mit einem Übersetzer reiste sie um drei Uhr morgens los. Unterwegs traf sie in einem Spital eine Frau mit einem amputierten Fuß, neben sich im Bett einen kleinen Jungen mit zerquetschten Beinen. Opfer einer Nato-Bombe. De Viguerie gelang es, einen Kontakt zu den Taliban herzustellen. Zu ihrer eigenen Überraschung wurde sie in den innersten Kreis der Islamkrieger vorgelassen.

Die Folge ein Entrüstungssturm

De Viguerie fotografierte, reiste zurück nach Kabul, sandte die Bilder an Paris Match, die daraus die Titelgeschichte machte, inklusive amputierter Frau. Die Folge war ein Entrüstungssturm. Verteidigungsminister Hervé Morin geißelte die Taliban-Reportage als feindliche Propaganda; Armeestimmen bezeichneten sie gar als Landesverräterin. Sie wehrte sich im Fernsehen. "Propaganda?", fragt sie noch heute entrüstet. "In Afghanistan herrscht Krieg, da gibt es Zivilopfer, sogenannte Kollateralschäden. Die Journalisten, die 'embedded' hinreisen, stellen die Dinge aus der Sicht einer Partei dar. Ich zeige, was ich sehe. Bin vielleicht eine schlechte Französin, aber eine richtige Fotografin."

Eine Starfotografin. Für ihre Reportagen hat de Viguerie seither den Canon-Preis und 2009 den dritten Platz bei der Worldpress-Auswahl erhalten. Der US-Onlinedienst Daily Beast nennt sie "die mutigste Fotografin in einem männerdominierten Beruf". Newsweek, Le Figaro oder der Guardian schickten sie schon los in die mexikanische Drogenstadt Ciudad Juárez, zu den Bürgerkriegen in Nigeria oder den Frauenmorden in Guatemala. Ganz schön gefährliche Orte. "Stimmt, aber ich schieße nie drauflos, sondern bereite mich methodisch vor", entgegnet die Fotografin. "Als Erstes rufe ich immer einen Pressemann der Mafiosi, Taliban oder Piraten an. Der muss mir den Schutz des obersten Chefs garantieren. Ohne diese Zusage starte ich nicht. Mit dem Plazet des 'Paten' wird man in Ruhe gelassen." Dieser Segen wirkt aber nicht ewig. "Man muss genau spüren, wenn es Zeit zum Umkehren ist", meint die Französin. Im verbotenen Swat-Tal Pakistans machte sie mit einer französischen Journalistin umgehend kehrt, als die Taliban auf ihre Anwesenheit aufmerksam wurden.

"Wir verloren keine Minute"

In Somalia, wo sie mit der gleichen Kollegin Piraten aufsuchte, kam Véronique heil davon, kurz bevor zwei französische Agenten gleichenorts als Geiseln genommen wurden. Die Fotografin hatte vor Ort einen Vertrauensmann, der organisierte eine kleine Miliz - aus zwanzig Leibwächtern. "Wir fuhren ins Nest der Piraten, die ebenfalls ihrer zwanzig waren", erzählt die grazile Französin. "Sie beäugten einander gegenübersitzend, während ich den Piratenchef ablichtete, und kauten Kath (ein Drogenkraut). Als sie einander zu beschimpfen begannen, machte mir mein Vertrauensmann das vereinbarte Zeichen zum Rückzug. Wir verloren keine Minute und hauten ab. Das war hart, denn ich wollte unbedingt auf das Piratenboot."

Nur einmal in ihrer jungen Karriere verging ihr das Fotografieren. "Das war beim letzten Erdbeben in Pakistan. Mir kam ein Mann entgegen, auf dem Rücken einen Kartoffelsack mit Schlitzen, durch die lugten die Beinchen seiner toten Kinder hervor. Dieses Bild konnte ich nicht machen. Dafür bleibt es ewig in meinem Gedächtnis."

Machen Frauen andere Bilder als Männer? "Unsere Fotos werden schon deshalb anders, weil wir eine andere Stellung haben", meint de Viguerie. "Ein männlicher Fotograf ist für einen Taliban oder einen Narco (Drogenboss) immer Rivale. Gegenüber einer Frau spielen sich Machos gern als Beschützer auf. Das ändert vieles."

"Absurde Gewalt nervt gewaltig"

Zum Krieg hat de Viguerie ein gespaltenes Verhältnis. "Er ernährt mich, er gibt mir mein tägliches Adrenalin", räumt die Französin freimütig ein. "Aber die absurde Gewalt nervt mich auch gewaltig. Wenigstens beruhige ich mein eigenes Gewissen, wenn ich die Welt mit meinen Bildern informiere. Denn sonst sind wir Kriegsfotografen ja die reinsten Aasgeier, nicht wahr?" (Stefan Brändle, DER STANDARD, Printausgabe 28./29.08.2010)