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Teils frisch, teils zu wenig scharf: Erzählerin Potente.

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

Akashiyaki und Gyoza, also Omelettebällchen mit Oktopus und gefüllte Teigtaschen, vielleicht auch eine Misosuppe als Vorspeise. Zum Hauptgang Nabemono, den leckeren Eintopf. Oder doch Maki? Unagi? Okonomiyaki? Natürlich dürfen Wasabi, Tofu und Soja nicht fehlen - und in jedem Haus dampft ein Reiskocher. Eine Annäherung an Japan kann stets über das Essen erfolgen. Der fernöstlichen Kulinarik scheint auch die deutsche Schauspielerin Franka Potente erlegen zu sein, die ihren ersten Erzählband auftischt und sogleich für einige Geschmacksverwirrungen sorgt. Das Buch heißt Zehn, beinhaltet aber keine Kochrezepte, sondern ist eine Sammlung zehn literarischer "Stories", wie der Untertitel verspricht. Japanische Köstlichkeiten sorgen indes aber für geschmackliche Begleiterscheinungen, im Mittelpunkt der Kurzgeschichten stehen immer noch Menschen (die klarerweise gerne essen). Seit 2005 packt Franka Potente, populär durch Filme wie Lola rennt (1998) oder Die Bourne-Identität (2002), immer wieder ihre Koffer, reist in den 127-Millionen-Einwohner-Inselstaat und füllt ihn mit Lebenswegen und Alltagsmomenten schrulliger Japanern und Japanerinnen.

Da befindet sich der Leser im schmuddeligen Fächerladen der einsamen Frau Michi, ist bei der von ihrem Mann verlassenen Frau Nishki zu Besuch, steht dem an Krebs erkrankten träumerischen Herrn Masamori bei oder erfährt von der geheimnisvollen Wirkung eines Reiskorns: "Man sagt, in jedem Reiskorn wohnen viele Götter! Du musst jedes Reiskorn mit Respekt behandeln!" Die kürzeren Geschichten, kleine Ausschnitte aus dem Dasein alltäglicher Menschen, heben sich bei Franka Potentes Storytelling von den gekünstelt wirkenden längeren Erzählungen ab. Sie sind von Überraschungen und einer spürbaren Liebe zum Erzählen getragen und nähern sich behutsam dieser andersartigen Kultur an. Weder ein Kimono noch Tatami-Matten, elektrische Wärmeteppiche oder beheizte Tische dürfen fehlen. Den Kapiteln ist das jeweilige sinojapanische Zahlzeichen von eins bis zehn vorangestellt; überhaupt ist die Aufmachung des Buches ob seiner auffälligen, aber nicht aufdringlichen Gestaltung hervorzuheben.

Die schreibende Schauspielerin, die 2009 einen Fitnessratgeber für faule Leute veröffentlichte, zeigt uns weniger ein "neues" Japan, sondern geht traditionellen Rollenbildern nach, untersucht Familienverhältnisse und den Mehrwert männlicher Nachkommenschaft. Die Geschichte, in der ein Ehepaar während der Schwangerschaft ihrem ungeborenen Kind die Klassiker aus Literatur und Musik vorliest und vorspielt, um diesem so einen Bildungsvorteil zu verschaffen, ist ebenso schön wie die Darstellung einer Affäre des Japaners Tetsuo mit der Schwedin Ingeborga. Begrüßungsrituale zeigen kulturelle Unterschiede: "Sie hatte ihn umarmt und gesagt, er solle sie anrufen. In Japan gab es keine Umarmungen. Nicht so. Er umarmte nicht einmal seine Mutter. Man verbeugte sich. So war das."

Ein ironischer Unterton verhilft manchen Storys zu einer angenehmen Frische, bei anderen wiederum mangelt es an Schärfe. Nur gut, dass ein Gläschen Sake stets griffbereit steht. Lauwarm konstruiertes Zusteuern auf eine Pointe ringt dem Leser ein verzagtes Schmunzeln ab, vieles bleibt klischeehaft und hätte sich originellere Zutaten verdient. Auf den Servierteller kommt zum Beispiel die Erzählung eines biederen Ehepaares, das bei seinem Chef zum Essen eingeladen ist, sein Geschenk überreicht und später bemerkt, dass sie das Packerl aus Versehen verwechselt haben und nun einen "erotischen Massagestab" schenken. Viel mehr passiert nicht, außer dass der Reiswein seine Wirkung tut. Ähnlich seicht ist auch der Plot in der Story Welcome Home, Master!, in der die aus der vorigen Geschichte bereits bekannte Miyu in einem Nobeletablissement arbeitet, sich mal als Prinzessin, mal als Politesse verkleidet und für einsame Männer die Hüllen fallen lässt. Lange Zeit ringt sie mit dem Gedanken, es jemandem zu beichten. Eine einhergehende Liebesgeschichte zwischen Miyu und dem Polizisten Seiji führt zu einem Happy End wie in einem mittelmäßigen Hollywood-Film.

Die 36-jährige Franka Potente, die in den USA lebt, schupft ihre Figuren auch mal aus dem geordneten Leben, das zumeist über Arbeit und Erfolg der Sehnsüchte und des Glücks. Die zehnte Erzählung Kitamakura oder 49 Tage handelt vom Mädchen Naski, das in Los Angeles einen Schüleraustausch absolviert und nicht mehr zurück ins geregelte Japan, in ihr konservatives Leben, möchte. "Die große Freiheit" ist Kalifornien, und: "Anfangs hatte sie hinter vorgehaltener Hand gekichert, später lachte sie lauthals mit."

Die Sprache der zehn Geschichten ist vielmehr eine berichtende als eine bildhafte. Kurze Sätze, oft in Staccato, prägen den Ausdruck und sorgen für einen eigenwilligen Stil, der sich peppig liest, aber teilweise holprig umgesetzt wurde. Franka Potentes erste literarische Unternehmungen auf knapp 170 Seiten sind unterhaltsame und leichte Sommerhappen, die trotzdem ab und zu Magendrücken verursachen können - wogegen es aber grünen Tee gibt. (Sebastian Gilli, ALBUM/DER STANDARD - Printausgabe, 28./29. August 2010)