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Flehende Hände im Punjab: Wird die Situation im Katastrophengebiet von Uno und westlichen Medien
künstlich dramatisiert, um im „Kulturkampf" strategisch zu punkten?

Foto: Reuters

Auf der Strecke bleiben Humanität und Objektivität.

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Verglichen mit den Überlebenden des Tsunamis oder des Erdbebens auf Haiti bringen die Flutopfer in Pakistan den Spendenorganisationen weniger Einnahmen: Drei Wochen nach dem Beginn der Katastrophe verzeichnet das UN-Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten unter 30 Millionen Privatspenden im Vergleich zu über 180 Millionen zum selben Zeitpunkt nach dem Erdbeben auf Haiti. In Frankreich haben humanitäre Organisationen einen Spendenaufruf gestartet und nur eine sehr bescheidene Summe eingenommen: "Action contre la faim" weniger als 30.000 Euro und das französische Rote Kreuz etwa 90.000 Euro.

Journalisten und humanitäre Organisationen beschäftigen sich derzeit mit den Gründen für dieses Desinteresse und kommen mit einer ganzen Reihe von Erklärungen: Die Medien tun nicht genug, die Sommerferien sind nicht gerade förderlich für eine Mobilisierung der Massen, das wiederholte Auftreten von Naturkatastrophen bewirkt eine gewisse Müdigkeit, die Hilfseinsätze sind nicht so spektakulär, und diese Katastrophe hat viel weniger Tote verursacht als vorhergehende. Schließlich wird laut dem gängigen, durch die Medien verbreiteten Klischee das Argument "muslimisches Land - verdorben durch Terrorismus und Korruption " und "der schlechte Ruf Pakistans" ins Treffen geführt.

Sorge ums "Image"

Auch wenn die rassistischen und islamfeindlichen Rollenbilder, die man mit Pakistan in Verbindung bringt, nicht alles erklären, tragen sie sicher zu einer gewissen Gleichgültigkeit bei. Die Bevölkerung Pakistans wird regelmäßig auf "Bartträger" und "verschleierte Frauen" reduziert und erweckt umso weniger Mitgefühl, als ihre Regierung an der militärischen Niederlage der Nato in Afghanistan nicht unbeteiligt war.

Einige Kommentatoren gehen so weit, dass sie die Gleichgültigkeit der Öffentlichkeit gegenüber dem Leid der Pakistani rechtfertigen: "Der aggressive Islamismus und Nationalismus sind auch unter der Bevölkerung sehr weit verbreitet. Diesen amoralischen Konsens bezahlt die pakistanische Bevölkerung nun teuer", schrieb kürzlich der Journalist Marc Cohen (in lecauseur.fr, 19. August 2010).

Angesichts dieser Situation, die Hilfsorganisationen und die Uno vorsichtig als "Imagedefizit" der Opfer umschreiben, sind diese nun versucht, die Situation aufs Äußerste zu dramatisieren, und hoffen so, die Zurückhaltung der Spender zu brechen. So auch das Koordinationsbüro der Uno, dessen Generalsekretär eine "zweite Sterbewelle" voraussagt, wenn die Kassen der Uno und der Hilfsorganisationen nicht bald gefüllt werden.

Probleme in Pakistan ähnlich wie in New Orleans nach Hurrikan

Diese alarmierenden Prognosen sind sehr umstritten. Trotz der anfänglich schwachen internationalen Mobilisierung war die Reaktion der Armee, des Gesundheitsministeriums, der lokalen Verwaltungen und Organisationen angesichts der Umstände stark und mehr oder weniger effizient. Je nach Region haben die Behörden relativ große Anstrengungen unternommen, um die Landverbindungen wiederherzustellen (Renovierung von Brücken und Straßen), bedrohte Menschen zu evakuieren, Vertriebene in Unterkünften unterzubringen und die Gesundheitseinrichtungen und öffentlichen Dienstleistungen wieder in Schwung zu bringen. Die Mängel in der staatlichen Hilfe gibt es, und sie führen zu zahlreichen Protesten, aber sie werden teilweise durch pakistanische und internationale Hilfsorganisationen vor Ort ausgeglichen. Unter ihnen befanden sich auch religiöse muslimische Organisationen, deren politische oder missionarische Ambitionen sich aber nicht stark von christlichen Organisationen unterscheiden.

Natürlich ist die Lage drei Wochen nach Beginn der Überschwemmungen nach wie vor kritisch - in Pakistan so wie übrigens auch in New Orleans nach dem Hurrikan Katrina: Die Verteilung von Trinkwasser, Nahrungsmitteln und Unterkünften ist noch sehr unzureichend, die Stromversorgung fehlerhaft, Dörfer sind durch das Wasser noch immer von der Umwelt abgeschnitten und Gegenden, die sowohl durch Kriegshandlungen als auch durch Überschwemmungen verwüstet wurden, für internationale Organisationen immer noch unzugänglich. Das Risiko eines Ausbruchs von Epidemien darf zwar nicht vernachlässigt werden, die nationalen Überwachungseinrichtungen scheinen aber dank der Hilfe internationaler Organisationen damit fertig zu werden.

Eingeschränkte Unterstützung des Westens

Die relative Effizienz der Hilfsleistungen, die mit nur eingeschränkter Unterstützung des Westens erfolgten, beunruhigt ihrerseits aber die Vereinten Nationen und die westlichen Medien. Wie auch andere Leitartikelschreiber der französischen Presse findet es Laurent Joffrin "ärgerlich, dass die Hilfe von muslimischen Organisationen bei weitem umfangreicher ist als die anderer Hilfsorganisationen". Jean-Maurice Ripert, UN-Sondergesandter in Pakistan, warnt vor den politischen Auswirkungen einer schwachen internationalen Hilfe, wovon "die militanten Islamisten" profitieren könnten, um bei ihrer Anhängerschaft zu punkten. In anderen Worten: Wenn uns moralische Vorstellungen davon abhalten, Überschwemmungsopfern, die "Bartträger" und "verschleierte Frauen" sind, zu Hilfe zu kommen, dann sollten wir in unserem Eigeninteresse unsere Aversion überwinden, um uns gegen die "islamische Bedrohung" zu Wehr zu setzen!

Bekehren statt helfen?

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Hilfe für die Opfer in Pakistan Anlass für politische Auseinandersetzungen ist. So wie die pakistanische Armee und die politischen Parteien Pakistans machen die USA kein Hehl aus ihrer Intention, mit der Hilfe für Pakistan zu "punkten": "Wenn wir tun, was getan werden muss, wird es nicht nur gut für die Menschen sein, deren Leben wir retten, sondern auch für das Image der USA in Pakistan", erklärte kürzlich Richard Holbrooke, Sonderbeauftragter von Barack Obama für Pakistan. Die Verteilung von Plastikplanen, Trinkwasser und Mehl würde allerdings wohl nicht ausreichen, um die pakistanische Bevölkerung in Massen zum radikalen Islamismus zu bekehren - oder zur Marktwirtschaft, je nachdem. Das Scheitern der Nato in Afghanistan zeigt, wie wichtig eine klare Trennung der Hilfe von militärischen Überlegungen mit dem Ziel, "die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen", ist und welche verheerenden Auswirkungen die Strategie der militärisch eingebetteten Hilfseinsätze auf die Sicherheit und auf die Möglichkeit, unparteiische Hilfe zu leisten, hatte.

Ärzte ohne Grenzen / Médecins Sans Frontières (MSF) verfügt glücklicherweise über ein Netzwerk treuer Spender, dank dessen die Organisation beim großen Wetteifern um Mitleid (mit Prognosen einer "zweiten Sterbewelle") und um Argumente für die Sicherheit (mit dem Argument "islamische Bedrohung") nicht mitmachen muss, um Spenden zu sammeln.

Solidarität ohne Kalkül

Für die Hilfe in Pakistan kommen 100 Prozent der Einnahmen von Ärzte ohne Grenzen von privaten Spendern, deren Unterstützung es der Organisation erlaubt, die Hilfe der pakistanischen Behörden im Bereich Instandsetzung der Gesundheitseinrichtungen, Versorgung mit Trinkwasser, Verteilung von Hilfsgütern und Überwachung von Epidemien zu ergänzen. Die kontinuierliche Unterstützung der Spender von Ärzte ohne Grenzen zeigt, dass sich ein Teil der Öffentlichkeit jenseits von geschürten Ängsten und gängigen Klischees für eine humanitäre Hilfe engagiert, die Opfern nicht entsprechend ihren Sympathiewerten oder ihrer politischen Nützlichkeit hilft, sondern basierend auf dem humanitären Gedanken und einer objektiven Einschätzung ihrer Not. (Fabrice Weissman, DER STANDARD-Printausgabe, 27.08.2010)