Scheidender Intendant Jürgen Flimm (69)

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Mit Andrea Schurian sprach Flimm über Programmhöhepunkte, den Begriff Beliebigkeit und den Sinn von Koproduktionen.

Standard: Mit welchen Gefühlen gehen Sie aus Salzburg weg?

Flimm: Ich habe immer impulsiv gearbeitet, versucht, gemeinsame Debatten anzuzünden; hier habe ich fast meinen Enthusiasmus verloren, habe angefangen, misstrauisch zu werden. Das ist schlecht, bekommt meiner Seele nicht.

Standard: Wie nachhaltig wurde die Seele verletzt?

Flimm: Nachhaltig? Nein. Punktuell schon. Ich habe jedoch schon viele Nackenschläge bekommen im Leben. Ich vergesse sie nicht. Aber ich bin nicht nachtragend ...

Standard: Hatten Sie die Unterstützung der Festspiel-Präsidentin?

Flimm: Anfangs sehr. Doch diese Dreierkonstellation ist schwer: künstlerischer Intendant, kaufmännischer Direktor und in der Mitte die Präsidentin, die kein operatives Mandat hat außer Sponsoren - was zugegeben eine Heidenarbeit ist. Aber die Programmarbeit, die inhaltlich-dramaturgische Debatte ist schwierig. Das ändert sich nächstes Jahr.

Standard: Ihren Programmen wird Beliebigkeit vorgeworfen. Wie lautet Ihre Festspiel-Bilanz?

Flimm: Ich verstehe das Wort "beliebig" nicht. Ist es Larifari? Und was ist das Gegenteil: schwergewichtig? Lange nachgedacht? Von 16 Opernproduktionen gab es sicher mehr als zehn, die gut waren: Da sollte man doch zufrieden sein! Auf dieser Liste würde unbedingt Haydns Armida stehen, das war hier vorher noch nie auf der Bühne. Oder Benvenuto Cellini, ich war völlig platt, wie schräg Philipp Stölzl das inszeniert hat. Barenboim und Breth mit Eugen Onegin, großartig! Fabres Requiem: ein toller Ausklang der Saison 2007. Und 2008, Don Giovanni und Blaubart und Cantata profana: beliebig? 2009, Rusalka von Welser-Möst und Wieler: Larifari? Händels Theodora, Luigi Nonos Al gran sole: leichtgewichtig? Und heuer Rihms Dionysos und Orfeo, Lulu, Romeo et Juliette: Weltklasse!

Standard: Ein Vorwurf gilt der mangelnden Mozart-Pflege.

Flimm: Wenn man nach langer Zeit einen Da-Ponte-Zyklus macht und Don Giovanni, das schwerste Stück, so toll hinkriegt, von Claus Guth so klug inszeniert, dann ist das eine Leistung. Für 2011 hatte ich geplant, dass jede unserer drei Da-Ponte-Opern-Inszenierungen ein anderer Dirigent leiten wird: Robin Ticciati Così fan tutte, Yannick Nézet-Séguin Don Giovanni, Marc Minosski Le nozze di Figaro. Und Idomeneo kommt auch dazu.

Standard: Sie nennen nur Opern. Hat Ihnen das Sprechtheater nicht gefallen?

Flimm: Im Gegenteil, gut, vor allem heuer. Da funktionierte erstmals, dass wir Konzert, Schauspiel und Oper verzahnt haben. Ich war begeistert vom Jedermann, Nicholas Ofczarek hat diese Reime geradezu unterpflügt. Und Klaus Maria Brandauer war ein imposanter, großartiger Ödipus.

Standard: Verlieren die Festspiele mit Koproduktionen wie "Ödipus auf Kolonos" an Attraktivität?

Flimm: Nein. Nehmen wir Dionysos. Andere Intendanten hätten abgewartet, ob es ein Erfolg wird, und die Oper nach fünf Jahren neu herausgebracht. Das ist unsinnig: Da wurde viel Geld investiert, es gibt eine wundervolle Inszenierung, die hohe Musikalität des Berliner Orchesters unter Metzmacher - das schmeißt man weg? Das sind doch intellektuelle Produkte. 2011 will Markus Hinterhäuser etwas ändern, Onegin wird entsorgt. Das bedauere ich.

Standard: Anfangs verantworteten Sie parallel zu Salzburg die RuhrTriennale, jetzt Berlin. Waren die Festspiele nur ein Nebenjob?

Flimm: Wirklich nicht. Der Vorwurf geht davon aus, dass man im Dezember ans Programmmachen fürs nächste Jahr denkt. Das ist Unsinn. Wenn man keinen neuen Sommer zu verantworten hat - in dem Fall 2012 oder 2013 -, sinkt der Arbeitsaufwand rapide. Die Planung, das Reisen, die Gespräche mit Künstlern fallen weg.

Standard: In Berlin wollten Sie mit der Uraufführung von Jens Joneleits Oper "Metanoia. Über das Denken hinaus" in der Regie Christoph Schlingensiefs starten.

Flimm: Eine wunderbare Produktion. Ich muss sehen, wie es ohne Schlingensief weitergeht. Ich werde diesen großartigen Menschen und außerordentlichen Künstler unendlich vermissen.
(DER STANDARD, Printausgabe, 26.8.2010)