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Große Gefühle und mörderische Gesten bei den diesjährigen Salzburger Festspielen: Sunnyi Melles als liebestolle Phädra, ...

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... Johannes Martin Kränzle als Dionysos in Wolfgang Rihms gleichnamiger neuer Oper ...

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... sowie Anna Netrebko in der Rolle der Juliette in Gounods "Romeo et Juliette"

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Eine Analyse von Ljubisa Tosic und Margarete Affenzeller.

Basteln wir eine tolle Salzburger Saison: Beginnend mit Andrea Breths Eugen Onegin, geht sie weiter mit Wolfgang Rihms Dionysos-Oper, gefolgt von Claus Guths Version von Don Giovanni, Luigi Nonos Il gran sole und schließlich vom Gastspiel des Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst, der die Rusalka-Premiere betreut. Toll, und all das hat es sogar gegeben. Leider allerdings hat Intendant Jürgen Flimm nicht ein, sondern ganze vier Jahre gebraucht, um eine solche besondere Saison zustande zu bringen.

Eine fünfte, die ihm zugestanden wäre, wollte Flimm nicht mehr. Nachdem klar wurde, dass man seinen Vertrag nicht verlängert, sprach er einen denkwürdigen Satz ("Warum soll ich hier noch herumhocken!") und erreichte es nach Turbulenzen, die den Festspielsommer 2009 unschön überlagerten, vorzeitig aus dem Vertrag entlassen zu werden, um sich der Staatsoper Unter den Linden in Berlin widmen zu können, an die ihn der diesjährige Festredner Daniel Barenboim gelockt hatte.

Die Nichtverlängerung war richtig. Gut auch, Flimm frühzeitig gehen zu lassen. Zu viel Zufälliges, Mittelmäßiges bei Regie, Dirigenten und Sängern hatte sich in vier Jahren zwischen durchaus vorhandener Qualität eingeschlichen, während das Konzertprogramm (Markus Hinterhäuser) als Mix aus Moderne, Exklusivität und Breitenwirksamkeit strahlte.

Andererseits aber vollendete der freiwillige Frühabgang Flimms die Entwertung des Intendantenpostens: Flimm geht ja in die Geschichte Salzburgs nicht nur als vorzeitig Scheidender ein. Er ist auch der erste Intendant, der nur ein Jahr lang neben den Festspielen keinen Nebenjob hatte. War er zunächst auch mit der Ruhr-Triennale beschäftigt, so kam später der Berliner Job hinzu, der bald seine planerischen Schatten warf. So verlässt Flimm Salzburg als Inbegriff des wendigen Multifunktionärs des Kulturellen, der Programme arrangierte, statt sie zu gestalten, der Künstler weniger zu Projekte überredet, sich vielmehr Projekte einreden ließ, um Künstler zu bekommen.

Das muss man nicht einmal bei Stars wie Anna Netrebko (Romeo et Juliette wurde für sie angesetzt) goutieren, noch viel weniger aber bei Dirigenten wie Riccardo Muti. Der souveräne Musiker - und das wusste man - kann einer Regie, die den Namen verdient, nicht viel abgewinnen, was in Salzburg denn auch zu teils kläglichen Opernergebnissen führte.

Das Schauspiel, seit 2006 von Thomas Oberender geleitet, hatte da bisher schon mehr versucht. Wenn ihm auch ausgerechnet nun im Jubiläumsjahr das Kühne und auch die Fortüne fehlten. Mutige dramaturgische Behauptungen wie etwa die Integralfassung der Molière-Stücke Luk Percevals (2007) blieben aus.

Durchaus angestrebte Konzepte gingen nicht auf: So erlag etwa Zweigs Novelle Angst (trotz Jossi Wieler und André Jung) der Fliehkraft des Halbprosaischen. Und auch Phädra war keine Burgtheater-Vorzeige-Arbeit.

Zudem war dies ein Festspielsommer zur Gänze ohne außerformatige Theaterproduktionen. Die für solche Arbeiten prädestinierte Pernerinsel in Hallein, eine wegen ihres unprätentiösen Rahmens gemochte Spielstätte, war für die gesamte Festspielzeit Peter Steins Ödipus mit Klaus Maria Brandauer vorbehalten. Und das war kein Signal in Richtung neuer Darstellungsformen. Auch das Young Directors Project litt kräftig unter seinem Produktionsrisiko. Bliebe von diesem Jahr also der neue Jedermann als aufgefrischtes Festspiel-Maskottchen.

Jedenfalls: Was der Jedermann für die Festspiel finanziell darstellt (eine Unverzichtbarkeit), das bedeuten die Opern für das Renommee der Festspiele. Und hier ist zu viel Unausgewogenes zu sehen gewesen. Teils hatte Flimm Pech (Nikolaus Harnoncourt machte um Salzburg einen Bogen), teils erschwerten die strukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen die Arbeit. Aus vielen Gründen geht hier also eine Ära, die keine war, zu Ende. Salzburg braucht nicht nur punktuelle Qualität plus Auslastung. Es braucht eine signifikante Quantität der Qualität. Und das fehlte.
(DER STANDARD, Printausgabe, 26.8.2010)