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Aus dem Leben kreativer Projektarbeiter: Angelika Reitzer.

Foto: APA/Hochmuth

Wien - Die Familie kommt zusammen, um die Eltern zu verabschieden. Ein letztes Fest, dann wollen sie sich "zurückziehen aus ihren Verpflichtungen und ihrer Familie" . Ein Generationenroman, der nicht sehr originell mit einer Familienfeier beginnt - doch dieser eine Gedanke lohnt sich: Können Eltern das machen? Einfach abdanken? Den Gasthof verpachten und sich nach vollendetem Lebenswerk zurückziehen?

In Angelika Reitzers soeben erschienenem zweitem Roman unter uns können sie das, und sie inspirieren damit auch noch ihre Tochter, Clarissa, es ihnen gleichzutun. Auch Clarissa steigt aus, aus dem Job oder aus dem Leben, so genau weiß man das nicht.

Um Clarissa, die taumelnde Hauptfigur, arrangiert Reitzer einen hippen Freundeskreis projektorientierter, kreativer Vierzigjähriger, die sich fühlen wie Anfang dreißig und aber gerne noch Mitte zwanzig wären. Daraus resultiert wenig überraschend einige Unzufriedenheit. Alle diese Figuren steuern auf eine Klippe zu, die sie entweder überwinden, wie die Eltern, die mit ihrem Rückzug eine Aktion setzen, oder als Grenze ihrer Lebensträume resignativ akzeptieren.

Klara zum Beispiel hat sich damit abgefunden, als Mutter zweier Kinder ein zurückgezogenes Leben in einem Vorstadthaus mit Garten zu führen und nicht mehr in den Job zurückzukehren. Ihr Mann Tobias macht sich mit Nachtarbeit gerne rar. Weiters gibt es den Filmkritiker Kevin, der sich zwischen Festivals und Premierenpartys auslebt, während seine Frau Vera Subventionen für ihren Kleinverlag aufzutreiben versucht.

Die Paare haben sich jeweils auseinandergelebt, Beziehungen funktionieren nur noch als etablierte Distanzverhältnisse. Alles das ist sehr klischeehaft gezeichnet: Frauen warten daheim auf ihre Männer. Die Männer beharren auf ihre Freiheitsansprüche, drücken sich gerne vor dem Familienleben, in dem ihre Frauen Erfüllung finden.

Mit Clarissa inszeniert Angelika Reitzer eine scheinbar nicht lebensfähige Hauptfigur. Clarissa hatte einen tollen Job, um den sie beneidet wurde, und ein teures Loft. Sie bewohnt, nachdem sie den Job geschmissen und sich verschuldet hat, im Haus von Klara und Tobias zwei Kellerräume.

Dort verkriecht sie sich, schaut sich Familienvideos aus ihrer Kindheit an und meidet jeden Kontakt mit der Außenwelt. Sie beneidet Klara um ihr "schönes, einfaches, einwandfreies Leben" . Ihre Absichten bleiben, wie die immer wieder filmhaft aufblitzenden Kindheitserinnerungen, verschwommen: Ihr Job als "Assistentin der Geschäftsführung" war so toll nicht, ihren Aufgaben war sie nicht gewachsen. Und auch das Loft konnte sie sich in Wahrheit nie leisten. Leider bricht hier der Erzählstrang aber auch schon wieder ab.

In unter uns werden spannende Gesellschaftsthemen angedeutet, die aber leider nicht ausgearbeitet werden: Das Scheitern der Protagonisten an ihren eigenen Ansprüchen, an ihrer schiefen Selbstwahrnehmung wird von umständlichen Schilderungen ihrer anstrengenden Lebenswelt überlagert. Auch sprachlich bleibt Angelika Reitzers Roman inkonsequent: Ihre Auslassungen und Verknappungen, die an filmische Zitate gemahnen sollen, wirken ungelenk, stellen keinen Mehrwert dar und lassen meistens lediglich die Grammatik außer Acht, während ihr Klang sperrig und holprig bleibt.

Kursorisch kommt die Versagensangst der Figuren zur Sprache, die sich weniger auf den Leistungsdruck der Generation Projektarbeit bezieht als darauf, nicht mehr für die Familie da sein zu können und damit sein Lebensnetzwerk zu gefährden.

Manchmal blitzen in Reitzers von Plattitüden bestimmtem Befindlichkeitsroman allerdings eindringliche Bilder auf: Die Einsamkeit, die eine Mutter überfällt, wenn sie ihre Kinder im Schlaf atmen hört, die Melancholie einer Protagonistin, die erkennen muss, dass sie und ihr Mann gemeinsam ein getrenntes Leben führen. (Isabella Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 25. 8. 2010)