Zum ersten Mal seit mehr als dreißig Jahren spricht an diesem Wochenende wieder ein Bundeskanzler die Delegierten eines ÖVP-Parteitages an. Allein dieser Umstand garantiert, dass Wolfgang Schüssel den Linzer Kongress stärker verlassen wird als er zu dessen Eröffnung kam. So hart, wie sie vorher großmundig angekündigt ward, wird die Kritik an seinem autoritären Kurs nicht ausfallen, und selbst wenn er sich in Kleinigkeiten (ohnehin eingeplante) Zugeständnisse abringen lässt: dass er danach als Parteiobmann triumphal bestätigt wird, muss allen Beteiligten klar machen, wie wenig er sich um ihre Meinung zu scheren braucht. Er selber macht daraus seit langem kein großes Geheimnis mehr.

Etwas anders Denkende in seiner Partei schnupft er mühelos auf. Um einen Bettel ließ sich der Gewerkschafter Neugebauer die Inflationsabgeltung für die Beamten abkaufen, ohne dass es besonderes Aufsehen erregt hätte; den ÖAAB, der sich einbildete, einmal Arbeitnehmervertreter spielen zu dürfen, narkotisierte er bei einem Auftritt hinter verschlossenen Türen; etwas hartnäckigere Kritiker aus den eigenen Reihen werden routinemäßig als diverse "siebente Zwerge von links" gemobbt; den schwarzen Sozialpartner ließ man beim letzten Vorstoß in Pensionsangelegenheiten ebenso kalt abblitzen wie den roten - und schon waren innerhalb weniger Tage einige Minen entschärft, die in Linz womöglich etwas unangenehm geworden wären.

Und die Landeshauptleute? Solange sie nicht mit Verlusten, sondern damit rechnen können, wie schon Erwin Pröll auf Kosten der Blauen zuzulegen, werden sie nicht versuchen, Schüssels Kurs ernsthaft entgegenzutreten.

Denn wenn auch die Volkspartei in diesen Wochen in Meinungsumfragen verliert und der Bundeskanzler den Höhepunkt seiner Karriere auf einem Tiefpunkt seiner öffentlichen Beliebtheit feiert, wenn daher der Parteitag vorsichtshalber schon von einem Jubel- auf einen "Arbeitsparteitag" herabgestuft wurde, ist noch lange nicht entschieden, ob Schüssels Rechnung, auf Kosten der Arbeitnehmer den harten Mann zu spielen, nicht doch aufgeht. Die Legislaturperiode steht erst an ihrem Beginn, und wie lange sie dauert, hängt nicht vom ÖGB, schon gar nicht von der parlamentarischen Opposition ab, sondern - außer von Schüssel selber - nur von den Freiheitlichen, was prekär genug erscheint.

Was die Opposition betrifft, herrscht in der SPÖ offenbar Misstrauen sogar gegen das eigene Pensionsmodell, weshalb die oberösterreichischen Genossen glauben, erst nachrechnen zu müssen. Und die Grünen, die noch vor kurzem in eine Koalition mit Schüssel strebten, wollen jetzt im Parlament einen Misstrauensantrag gegen ihn einbringen, der keine Aussicht auf Erfolg hat, aber eine Volksabstimmung über die Pensionsreform, die gute Chancen auf deren Ablehnung böte, lehnen sie ab. Wollen sie von Schüssel doch noch einmal erhört werden?

Nur der ÖGB scheint für einen Showdown mit Schüssel bereit und auch gerüstet zu sein. Das ist zunächst nur ein Gradmesser für das Ausmaß gewerkschaftlichen Unmutes. Es ist bekanntlich leichter, eine Streikbewegung zu beginnen, als sie in Erfolg umzumünzen, und nichts wäre schlimmer, als sie erfolglos abbrechen zu müssen.

Das wird Schüssel kühl einkalkulieren. Er kann unter dem Motto "Ich weiche der Gewalt" immer noch nachgeben, ohne viel an Gesicht zu verlieren - so unpopulär, wie seine Rentenreform ist, lässt er es sich noch als staatsmännische Weisheit anrechnen. Es wird für den ÖGB nicht leicht, die bisher ungenutzte Kraft aus seiner Urabstimmung endlich einmal wirkungsvoll einzusetzen. (DER STANDARD, Printausgabe, 26./27.4.2003)