Foto: DER STANDARD/Hendrich

"Wie grün sind die Grünen noch?" , wollte Andreas Vitásek beim Gespräch im Grünen wissen. "Na, absolut" , findet Maria Vassilakou.

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Standard: Andreas Vitásek erzählt in seinem neuen Programm "39,2 Grad - Ein Fiebermonolog" die Geschichte von rückwärts nach vorne. Würden Sie rückblickend politisch etwas anders machen?

Vassilakou: Ich würde auf jeden Fall noch immer zu den Grünen gegangen sein. Ich gehöre zu jener Generation, die immer bei den Grünen war und immer nur grün gewählt hat.

Standard: Wenn man die Parteispaltungen im 6. und 8. Bezirk betrachtet, hat man den Eindruck, Sie haben die Partei nicht im Griff. Hätten Sie aus jetziger Sicht anders vorgehen müssen?

Vassilakou: Lassen wir die Kirche im Dorf. Wir reden nicht von den Grünen an sich, sondern von einer Hand voll Bezirksräten, die sich mit den Entscheidungen ihrer Bezirksorganisationen nicht abfinden können. Aber eines ist klar: Die Bezirke werden sich professionalisieren müssen.

Standard: Braucht Basisdemokratie nicht auch Leadership? Warum haben Sie bei den Querelen in beiden Bezirken Landessprecherin Silvia Nossek vorgeschickt?

Vassilakou: Ich schicke niemanden vor. Ich habe mich vom ersten Tag an hinter die gewählten Susanne Jerusalem und Alexander Spritzendorfer gestellt, saß sogar bei ihren Antrittspressekonferenzen mit ihnen. Die weitere Entwicklung müssen diejenigen mit sich ausmachen, die einen Weg abseits der Grünen gegangen sind.

Vitásek: Ist es nicht tödlich für die Grünen, wenn sie sich knapp vor der Wien-Wahl untereinander zerpflücken? Solche Selbstzerstörungstendenzen kennt man sonst nur von der FPÖBZÖFPK.

Vassilakou: Wie gesagt,wir reden von einer Hand voll Bezirksräten von rund 200 in ganz Wien. Aber solche Ereignisse werden öffentlich ausgenutzt. Die Grünen sind halt unangenehm geworden im Kampf um die Macht in der Stadt.

Standard: Herr Vitásek, was erwarten Sie von einer grünen Stadtpartei?

Vitásek: Ich erwarte mir von einer grünen Stadtpartei, dass sie nachdem sie es erfolgreich geschafft hat, das Image des Müsliessers im selbstgestrickten Pulli loszuwerden, jetzt endlich auch ihre Bobo-Phase überwindet und neben den ökologischen Themen wie Verkehrs- und Stadtplanung verstärkt soziale Themen wie die Armutsbekämpfung in den Vordergrund stellt. Wie links sind die Grünen eigentlich?

Vassilakou: Die Grünen sind innerhalb des linken progressiven Spektrums angesiedelt. Links definiert sich für mich im 21. Jahrhundert als eine Bewegung, die sich zu Solidarität und Menschenrechten bekennt. Eine solche Bewegung ist aber immer auch ökologisch als Akte der Solidarität mir den nachfolgenden Generationen.

Vitásek: Wie bürgerlich sind die Grünen?

Vassilakou: Bürgerlich ist für mich keine politischer Kategorie. Gegenfrage: Was ist bürgerliche Verkehrspolitik, bürgerliche Sozialpolitik? Bürgerlich ist für mich, wenn man sich brav grüßt und schön Zähne putzt.

Vitásek: Und wie grün sind die Grünen - noch?

Vassilakou: Na, absolut grün. Grünsein hat nicht nur mit Naturschutz zu tun. Sondern es geht auch darum zu erkennen, dass es dieselben Ursachen sind, die dazu führen, dass die Natur und die Menschen ausgebeutet werden. Wir müssen sicher stellen, dass wir weiter in eine intakten Umwelt leben können, aber auch dafür sorgen, dass Lebensqualität nicht ein teures Luxusgut wird.

Standard: Sie haben vor kurzem gefordert, dass jedes Kind, dass hier geboren wird, automatisch die Staatsbürgerschaft haben soll.

Vassilakou: Jedes Kind soll vom ersten Moment an dazu gehören. Eine Möglichkeit ist, dass man sich mit 18 oder 21 für eine Staatsbürgerschaft entscheiden muss oder ermöglicht die Doppelstaatsbürgerschaft von Haus aus.

Vitásek: Eigentlich könnte es ja auch gleich eine europäische Staatsbürgerschaft geben.

Vassilakou: Das finde ich eine spannende Vision. Bei der jüngeren Generation gibt es sicher ein ganz anderes Bewusstsein für die EU. Das könnte in den nächsten zehn - naja, so optimistisch will ich nicht sein - in den nächsten 20 Jahren durchaus Realität sein. Derzeit gibt es aber noch zu viele Widerstände.

Standard: Sollen die Eltern der Kinder, die automatisch Österreicher sind auch schneller die Staatsbürgerschaft erhalten als bisher?

Vassilakou: Für mich ist das Ziel, aus Zuwanderern Österreicher zu machen. Und das nicht nur auf dem Papier. Menschen, die hierher kommen, sollen möglichst schnell ein Zuhause hier finden und sich mit dem Land identifizieren. Man muss ähnlich wie in Kanada sicherstellen, dass die Zuwanderer im ersten Jahr die Landessprache sehr gut lernen. Es ist illusorisch zu glauben, dass jemand, der nicht gut Deutsch spricht, in Österreich erfolgreich sein kann.

Vitásek: Das heißt kein Zwang zum Deutschkurs, sondern ein Angebot?

Vassilakou: Ein Angebot, aber schon mit Nachdruck.

Vitásek: Ein nachdrückliches Angebot also?

Vassilakou: Ja genau. Ich halte nichts von Rohrstaberlpolitik.

Vitásek: Aber es hätte doch noch vor Jahren Proteste gegeben, wenn Sie als Grüne verpflichtende Deutschkurse gefordert hätten. Hat sich da im Bewusstsein der Grünen etwas geändert?

Vassilakou: Nein, da hat sich nichts geändert. Als die verpflichtenden Deutschkurse von Schwarz-Blau eingeführt wurden, bin ich selbst Sturm gelaufen dagegen. Weil die Einführung von einem unglaublich menschenverachtenden Diskurs begleitet wurde, bei dem man die Zuwanderer als unmündige Menschen dargestellt hat, denen man alles vorschreiben muss. Es muss ausreichende und kostenlose Kurse geben. Und es ist Aufgabe der Zuwanderer, diese zu absolvieren.

Standard: Für die Grünen reicht die "Rot-Weiß-Rot-Card" , wie sie Minister Michael Spindelegger von der ÖVP gefordert hat, nicht für eine geordnete Zuwanderungspolitik. Welche Kriterien sollen für Zuwanderer gelten?

Vassilakou: Wir wollen ein transparentes Modell mit Kriterien und einem Punktesystem, ähnlich dem kanadischen Modell. Für bestimmte Qualifikationen soll es Punkte geben - etwa Sprachenkenntnisse, abseits von Deutsch. Besonders wichtig ist auch die Anerkennung von Qualifikationen. Viele Menschen arbeiten als unterbezahlte Hilfskräfte, weil ihre Ausbildung nicht anerkannt wird. Und es muss auch die Möglichkeit geben, jedes Jahr eine gewisse Anzahl von Menschen aus Katastrophen- oder Kriegsgebieten aufzunehmen und ihnen die Chance auf eine neue Existenz zu geben.

Standard: In Wien haben die Grünen ihre Bereitschaft zum Mitregieren ja schon klar geäußert.

Vassilakou: In Wien haben wir die Chance, wenn die SPÖ die absolute Mehrheit verliert, gemeinsam ein neues Programm für die Stadtzu machen: Kluge Investitionen in neue Technologien. Alle Wiener Kinder sollen brilliant Deutsch sprechen und darüber hinaus zwei bis drei weitere Sprachen. Und alle Jugendlichen sollen mit 18 Jahren maturiert haben oder einen gleichwertigen Abschluss haben. Und wir brauchen schnelle Verkehrsanbindungen ans Umland, ein innerstädtisches Konzept zur Verkehrsberuhigung und eine drastische Verbilligung der Öffitarife.

Vitásek: Also ich finde die Vision einer Öffi-Freifahrt interessant.

Vassilakou: Das finde ich auch und es wäre ein Projekt, bei dem die ganz Welt auf uns schauen würde.

Standard: Aber die langjährige Forderung nach einer Citymaut hat bei der Volksbefragung im Februar die meisten Nein-Stimmen bekommen.

Vassilakou: Alles was das Wort Maut beinhaltet, kann nicht populär sein. Zunächst muss man die Menschen informieren, was das alles umfasst und erst dann sollte man fragen, ob sie es möchten.

Vitásek: Also wenn man wieder Visionen haben kann, müsste eine autofreie Stadt ein Fernziel sein.

Vassilakou: Die gesamte City und auch Teile des Rings autofrei zu machen ist Teil unseres Verkehrsprogramms. Darüber hinaus sollte eine Stadtmaut an der Stadtgrenze eingehoben werden. Man muss aber Alternativen wie Park&Ride-Anlagen entlang der Einfahrtschneisen anbieten und die müssen in Verbindung mit einer Jahreskarte gratis sein. Unser Modell ist, den ganzen Tag um einen Euro mit den Öffis fahren zu können, eine Jahreskarte um 100 Euro und dann eben zwei Euro Citymaut.

Vitásek: Als potentieller Grün-Wähler hatte man schon den Verdacht, dass die Grünen eigentlich gar nicht mitregieren wollen. Ich glaube, man muss das den Leuten schon klar sagen.

Vassilakou: Bei dieser Frage können es die Grünen nie richtig machen. Wenn wir sagen, wir wollen regieren und mit wem - so wie wir es in Wien tun - kommt der Vorwurf, wir seien regierungsgeil. Wenn wir sagen, wir sind eine Oppositionskraft, wollen gute Ergebnisse haben und dann schauen wir einmal, ob es sich ausgeht - heißt es, wir seien zu zögerlich. Die Frage, ob wir in eine Regierung eintreten, hat die ÖVP in Oberösterreich und Graz bereits positiv beantwortet. Ich frage mich immer, warum sich die SPÖ so ziert - und sich in Wien auf den Koalitionspartner ÖVP reduziert.

Standard: Warum soll sich die Wiener SPÖ euch dann antun?

Vassilakou: (lacht) Weil wir die Guten sind. Weil wir die Dinge vorantreiben wollen und offen für neue Ideen sind. Und weil es nicht im Interesse der SPÖ liegen kann, sich der Stagnation und dem stumpfen Postenschacher auszuliefern, die Rot-Schwarz auch in Wien bedeuten würde.

Standard: Haben Sie selbst schon Angebote aus der Politik bekommen?

Vitásek: Ich werde regelmäßig in Vorwahlzeiten in diverse Personenkomitees eingeladen. Ich fühle mich meist geschmeichelt, aber es ist die Aufgabe besonders eines Kabarettisten, kritisch gegenüber allen Seiten zu sein, und da ist Parteiunabhängigkeit Grundvoraussetzung. Eine Frage noch: Bei den Jugendlichen ist Berater der neue Traumberuf, man reist viel, verdient viel. Sehen Sie sich irgendwann in der Zukunft als Beraterin?

Vassilakou: Definitiv nicht. Das einzige, wobei ich mich immer wieder erwische, ist, dass ich Sehnsucht bekomme, Dinge mit meinen Händen zu machen. Politik ist ein verkopfter Beruf. Es ist kein Zufall, dass fast alle Politiker einmal beginnen, Rosen zu züchten oder zu kochen. Bei mir ist es das Kochen nach griechischer Manier - für sehr viele Gäste. (Bettina Fernsebner, DER STANDARD, Printausgabe, 18.8.2010)