Maulen, aber einverstanden sein: Wir sind Helden präsentieren ihr neues Album "Bring mich nach Hause" am Frequency.

Foto: Sony Music

St. Pölten - Zu einem interessanten Auftritt wird es am Donnerstag auf der großen Bühne des Frequency-Festivals in St. Pölten kommen. Die in Berlin ansässige kanadische Elektro-Feministin Peaches stellt sich dort zur Kaffeejausenzeit mit umgeschnalltem Gummipenis vor die Leute, um Frontalunterricht im Wortsinn zu geben: "Fuck the pain away!"

Wer dahinter schwarze Pädagogik oder sonstige Kinderschreckpraktiken vermutet, liegt zwar nicht ganz falsch. Zeitgenössische Kunst wird ja vor allem in der Neuen Welt schon immer als Drastik gleich Relevanz gelesen. Richtigerweise sollte man eine dreitägige Festivalsause, wie es das Frequency-Festival für rund 120.000 Besucher nun einmal ist, allerdings schnell einmal mit einem Höhepunkt starten. Danach kann man immer noch stark nachlassen.

Unter dem Branding des Radiosenders FM4, der sich zwar alljährlich schon Monate im Vorhinein mit dem Festival schmückt, mit der Programmgestaltung aber nichts zu tun haben will, wird auch heuer wieder so gut wie alles in das Line-up gepackt, was Tag für Tag in den Äther und ins Netz gejagt wird. Einige wenige Ausnahmen hat vor allem der Donnerstag zu bieten. Danach wird es finster.

Anschließend an Peaches werden unter anderem die eher nach Computer-Doktoren als -Künstlern aussehenden Hot Chip aus London ihren hippen Nerd-Synthie-Pop hüftsteifen.

Major Lazer um den Starproduzenten Diplo brettern fantastischen Future-Dancehall aus den USA. Am Ende des Tages drücken sich ältere Festivalbesucher bei der beinahe in Originalbesetzung reformierten britischen Ska-Legende The Specials manch sentimentale Träne aus dem Auge: "Enjoy yourself, it's later than you think." Das Feuer am Dach muss man sonst eher am Campingplatz auf dem mitgebrachten Resignationszelt entfachen. Die mittlerweile im deutschen Sprachraum von wenigen Konzertagenturen kartellartig geregelte Festivalprogrammierung sieht ungern Überraschungen vor.

Queen-Imitatoren

Allein das verbleibende Angebot am Donnerstag sorgt mit Freiluftschonkost wie den schwachbrüstigen Queen-Imitatoren Muse, gefühlt hundertjährigen US-Schlager-Punks wie Bad Religion oder NOFX sowie dem allgegenwärtigen deutschen Partytiger Jan Delay für Fernweh. Gerade auch mit Frequency vergleichbare spanische Großfestivals wie Primavera oder Sonar oder diverse britische oder skandinavische Festivals haben da wesentlich Aufregenderes zu bieten.

Am Freitag muss man zu Frequency entweder ganz früh anreisen, weil die gegen Mitternacht sehr wahrscheinlich bei den britischen TripHop-Altvorderen Massive Attack gastierende Martina Topley Bird vor leerer Hauptbühne intime Kammer-Folk-Songs verschwendet. Man kann sonst aber auch im Hauptabendprogramm dem ersten und wohl auch letzten Auftritt des fantastischen New Yorker Dance-Punk-Unternehmens LCD Soundsystem um James Murphy beiwohnen. Der lieferte heuer mit This Is Happening ein würdiges wie dringliches Abschiedsalbum zwischen David Bowie auf unterkühltem Amphetamin-Funk und Publikumsfavoriten wie dem räudigen Wegwerf-Hit Drunk Girls.

Langeweiler und Altbier

Der Samstag schließlich, man muss es leider sagen, steht ganz im Zeichen der Abreise. Zumindest dürfte das Publikum zu einem erheblichen Maß ausgetauscht werden. Stehen doch mit Mainstreamrock-Pathetikern wie 30 Seconds To Mars und Billy Talent veritable Langweiler auf der Bühne, die nur noch von den Toten Hosen und ihrem Altbier unterboten werden.

Auf der zweiten Hauptbühne untermauern zumindest Element Of Crime ihren verdienten und oft und dann noch einmal gefestigten Sympathiestatus. Allerdings präsentieren dort auch die nach Kinderpause wieder aktiven schlageresken Berliner Wir sind Helden um Judith Holofernes mit dem Album Bring mich nach Hause ihren Status als zufriedene junge Leute, die zwar ein wenig über die Gesamtsituation maulen, am Ende aber immer einverstanden sind. (Christian Schachinger, DER STANDARD - Printausgabe, 18. August 2010)