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Ö1-Chefin Bettina Roither wünscht sich ein Talkradio. Einschränkung: "Man wird sehen, ob wir uns das leisten können."

Foto: APA/Schlager

Wien - Das Pasticcio - werktags, 8.15 Uhr morgens - ist ihre Lieblingssendung. Auf Ö1 mag sie sonst noch "gute Hörspiele" und Musiksendungen. Fremdgehen? Manchmal, gesteht Bettina Roither - und nicht nur, um Mitbewerber zu beobachten: Akustische Auszeit nimmt die neue Ö1-Chefin am liebsten bei Lounge FM.

Das klingt nach moderatem Tempo, und entsprechend sachte geht Roither in ihrem neuen Job vor. Man verfüge über ein "gut funktionierendes Programm", sagt sie Dienstag vor Journalisten.

Niemanden vergrämen

Am wichtigsten ist ihr, die treuen Hörer nicht zu vergrämen. Die sind über allzu eifrige Programmreformen gar nicht erfreut, wie sich zuletzt bei Welt Ahoi! zeigte. Der sonntägliche Guglhupf-Nachfolger sorgte in den ersten Wochen für heftige Empörung unter dem Stammpublikum.

"Ö1-Hörer glauben, sie besitzen ihren eigenen Sender. Wunderbar, aber das macht es ein bisschen schwierig."

Die anfängliche Aufregung wich einem Hörerschwund: Die Schmähs liegen in der Publikumsgunst inzwischen unten, deshalb folgt das Ultimatum: "Bis Jahresende", gibt Roither Welt Ahoi! noch Zeit zur Erholung.

Weitere Schwächen im Programm ortet sie am Wochenende. Ab September verpasst sie deshalb dem Samstagmagazin Ö1 bis zwei den Zusatz Le Weekend. Christian Scheib und Elke Tschaikner moderieren Musikmix von "Calexico bis Brahms".

Frühprogramm reformieren

"Behutsam", will Roither das Frühprogramm reformieren, ohne an englisch- und französischsprachigen Nachrichten zu rühren: "Ein paar Sonderlichkeiten kann man beibehalten." Einmal pro Woche wünscht sich die Ö1-Chefin nachts ein Talkradio. Einschränkung: "Man wird sehen, ob wir uns das leisten können."

Stichwort Finanzen: "Die Abteilungen des Radios leiden unter dem enormen Spardruck." Man sei "an einer Grenze angelangt. Mit weniger wird man dasselbe Programm nicht machen können."

Mit weniger nicht, dafür aber vermutlich mit anderen Strukturen, deutet sie an: Die nach Hauptabteilungen geordnete Organisation hält sie für "nicht ganz optimal". Hier wünscht sich Roither "schlankere Strukturen". Das wiederum kann weiteren Personalabbau bedeuten. Da kündigt sie Gespräche mit Redaktionen und Betriebsräten an.

Das deutet auf ein taktisch sensibles Vorgehen hin. Noch im Juli beklagte Zentralbetriebsratschef und Radiobetriebsrat Gerhard Moser Kommunikationsdefizite: Die Betriebsräte vermissten Gespräche mit der Belegschaft.

Das kostenintensive Radiokulturhaus will Roither "unbedingt halten". Außer, es käme zur Zusammenführung der ORF-Gebäude im Zuge einer Übersiedlung: "Das hieße, dass man alle anderen Standorte aufgibt, also auch das Radiokulturhaus."

Radiokultur auf TW1

Als Abspielstation für Veranstaltungen dort bietet sich TW1 an. Im geplanten Infokanal des ORF sollen sie künftig vermehrt aus dem Haus an der Wiener Argentinierstraße zu sehen sein. Schon jetzt ist die Diskussionssendung Im Klartext nicht nur im Radio zu hören, sondern am Tag nach der Aufzeichnung im künftigen Spartenkanal zu sehen.

Die 130 Ö1-Vollzeitmitarbeiter will sie mit Gefühl für Teamarbeit führen. Dass sie nicht Wunschkandidatin ihres Vorgängers Alfred Treiber war, sieht sie "ziemlich emotionslos". Treiber hatte in seinen letzten Tagen als Ö1-Chef Kommunikations- und Marketingchef Clemens Kopetzky als idealen Nachfolger favorisiert. Der zog seine Bewerbung schließlich zurück, um dem Sender nicht zu schaden. Roither setzte sich gegen von Ö1-Programmmitarbeitern bevorzugte Ulrike Wüstenhagen (Ö1-Administration) durch. Ihre Bewerbung gab sie erst nach Anregung von ORF-Chef Alexander Wrabetz ab. Den Trubel rund um "alle Personalentscheidungen des ORF" findet sie "extrem schade". Aber: "Damit lernt man irgendwie zu leben.

Eine Spitze gegen den wortgewaltigen Neo-Pensionisten Treiber kann sie sich aber dann auch nicht verkneifen: "Ich neige nicht zu diktatorischem Gehabe." (Doris Priesching/DER STANDARD; Printausgabe, 18.8.2010)