Bild nicht mehr verfügbar.

Vor wenigen Jahren noch unvorstellbar, jetzt Realität: chinesische Touristen in einer Parfümerieabteilung eines Kaufhauses in Tokio.

Foto: AP/Shizuo Kambayashi

Zu Jahresbeginn sah es noch gut aus in Japan, doch jetzt ist der Aufschwung fast verpufft. Im zweiten Quartal ist Japan von China als zweitgrößte Volkswirtschaft verdrängt worden, früher als gedacht.

***

Tokio - Japan hat seine Position als zweitgrößte Volkswirtschaft nach den USA durch eine überraschend starke Bremsung des Wirtschaftswachstums bereits im zweiten Quartal an China verloren. Denn das Bruttoinlandsprodukt (BIP) stieg wegen abflauender Exporte, stagnierenden Konsums und Streichungen staatlicher Investitionen real nur um 0,1 Prozent im ersten Jahresviertel. Nominal schrumpfte es sogar um 0,9 Prozent.

China liegt beim unbereinigten nominalen BIP, umgerechnet in die US-Weltleitwährung, mit 1337 Mrd. Dollar jetzt klar vor Japan. Nippon erwirtschaftete nur 1288 Mrd. US-Dollar. Bisher rechneten viele Experten erst zum Jahreswechsel mit einer Wachablöse.

In Japans Politik und Öffentlichkeit lässt der jähe Absturz der Erholung die Alarmglocken schrillen. "Japans Wirtschaft ist bereits in die Flaute gekommen", warnte Keisuke Tsumura, der Staatssekretär für Wirtschafts- und Haushaltspolitik im Kabinettsamt. Während Deutschland beschleunigt, hat Japans Wachstum im Vorjahresvergleich von 4,7 Prozent auf nur noch zwei Prozent abgebremst. Prompt senkten die Volkswirte von Morgan Stanley MUFG Securities ihre Wachstumsprognose für das Kalenderjahr von 3,4 auf 2,9 Prozent. Das liest sich komfortabel, allerdings schürt der jüngste Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 5,3 Prozent sogar die Sorge vor einem Rückfall in die Rezession.

Verstärkt wird die Angst durch den Fall des Dollars auf den tiefsten Stand seit 15 Jahren. Die Börse in Tokio hat seit Anfang April rund 20 Prozent an Wert verloren, weil Japans Exportindustrie schon beim jetzigen Dollar-Stand von 85 Yen kaum noch profitabel exportieren kann.

Und es könnte noch schlimmer kommen. Weil Japan unter all den strauchelnden Industrieländern unter Anlegern noch als sicherster Hafen gilt, könnte der Dollar sogar unter seinen historischen Tiefstand von 79,75 Yen fallen. Damit rechnet sich Japan als Exportstandort kaum noch. Japans Wirtschaftszeitung Nikkei hat daher vor Flucht von Fabriken und Kapital gewarnt- "mit schrecklichen Folgen für die Wirtschaft".

Die Frage ist, woher Hilfe kommen soll. Für neue Konjunkturpakete ist wegen der bereits beachtlichen Staatsverschuldung von 200 Prozent des BIPs kaum noch Geld aufzutreiben. Und für kräftige Wechselkursinterventionen zur Stützung des Dollars lässt sich wiederum vor den US-Kongresswahlen im November international kaum Verständnis - und noch weniger Unterstützung - erzielen.

Japans Ministerpräsident Naoto Kan jedenfalls erhöht den Druck. Nach Aussagen seines Amts will er diese Woche Notenbankchef Masaaki Shirakawa treffen, um über die Folgen des steigenden Yen zu sprechen. (Martin Kölling aus Tokio, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.8.2010)