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Wien hat laut einer Studie ein sehr gutes Sozialsystem - mit Aufholbedarf bei der Pflege.

Foto: APA/Barbara Gindl

Wien - Bernd Marin hatte "Angst, dass es Druck geben wird" , sagt er. Schließlich erhielt sein Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung im vergangenen Jahr einen Auftrag für eine Studie über das Sozialsystem der Stadt Wien, die noch vor der Wahl im Oktober fertig werden sollte. Aber bei der Präsentation der Studie am Mittwochabend streute der Wiener Sozialwissenschafter seinem Auftraggeber Rosen: "Wir hatten absolut freie Hand. Es gab keinerlei Erwartungsdruck des Auftraggebers."

Im Vergleich mit Brüssel, Hamburg, Lissabon, Prag und Stockholm bescheinigt die Studie Wien eine "sehr gute Performance" . Die ökonomische Krise sei am Sozialbudget derzeit nicht ablesbar. Im Vergleich unternehme die Stadt "überdurchschnittliche Anstrengungen, um für ihre EinwohnerInnen eine hohe Lebensqualität, gute wirtschaftliche Bedingungen und eine gute soziale Absicherung sicherzustellen" . In Kombination mit der subjektiven Wahrnehmung der Bevölkerung ergebe das für Wien die Spitzenposition.

Für Gesundheits- und Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SP) ist die Studie die sachliche "Antwort auf den Vorwurf, dass sich die SPÖ immer alles schönredet" . In drei Bereichen ortet sie Handlungsbedarf: So müsse die Stadt entscheiden, wie alte Behinderte in Zukunft betreut werden. Es gelte zu entscheiden, ob sie gemeinsam mit nichtbehinderten Altersgenossen betreut werden sollten. "So viel Normalität wie möglich" wünscht sich die Stadträtin.

Weiters müsse der niedergelassene Bereich für Behandlungen ausgebaut werden, die derzeit in Spitalsambulanzen erfolgen. Bis 2015 werde die Stadt 300 Krankenbetten in Pflegebetten umwandeln, um dem Überangebot entgegenzuwirken. Das führe zu mehr Spitalsaufenthalten, denn: "A built bed is a filled bed." Als dritte Herausforderung sieht Wehsely die Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, die die Anzahl der Kurzzeit-Sozialhilfe-Empfänger überproportional steigen ließe.

Strache versus Marin

Die Opposition kritisierte den Zeitpunkt der Studienveröffentlichung: "Kurz vor dem Wahltermin posiert die SPÖ mit einer weiteren Gefälligkeitsstudie" , konstatierte die VP in einer Aussendung. FP-Chef Heinz-Christian Strache prophezeite Sozialkürzungen nach der Wahl. Er unterstellte dem Sozialwissenschafter Marin außerdem, ein "knallroter Herr" zu sein. Das könnte nun ein gerichtliches Nachspiel haben, denn das Europäische Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung sei ein unabhängiges Institut, sagt Marin, Straches Bemerkung daher "eine Frechheit" . Der FP-Chef habe "ein paar Tage Zeit, sich formell zu entschuldigen. Tut er das nicht, werden wir klagen." (Andrea Heigl, DER STANDARD-Printausgabe, 13.08.2010)