Wien - Der Einsatz von Klimaanlagen nimmt in Europa zu. Nach Expertenschätzungen dürfte der Kühlenergiebedarf in zwanzig Jahren in etwa so hoch sein wie der Energiebedarf fürs Heizen. Der Einsatz von Fernkälte ist in Ballungsräumen eine umweltfreundliche Alternative zu herkömmlichen Anlagen, steckt aber noch in den Kinderschuhen. In Österreich wird der Ausbau vor allem in Wien und in Linz vorangetrieben. Wien Energie will bis 2020 die installierte Leistung verzehnfachen.

In den Genuss kommen vorläufig nur Krankenhäuser und Bürogebäude, nicht aber private Haushalte. Das muss jedoch nicht so bleiben: "Fernkälte ist in ihrer Entwicklung derzeit dort, wo die Fernwärme vor 40 Jahren stand", sagt Wien-Energie-Geschäftsführer Robert Grüneis zur APA.

Der Startschuss für Fernkälte fiel in Wien 2006 im Stadtentwicklungsgebiet "TownTown" im dritten Bezirk, wo sämtliche Gebäude durch eine eigene Kältezentrale gekühlt werden. Versorgt werden mittlerweile auch Krankenhäuser wie etwa das AKH Wien und das SMZ Ost. Als mögliche größere Areale eignen sich unter anderem auch das Gebiet um die Müllverbrennungsanlage Spittelau, die neuen Büroobjekte auf der Donauplatte, die Bürohäuser am Wienerberg oder das Gebiet entlang des Handelskai. Die Verhandlungen mit den ÖBB über einen Fernkälte-Anschluss des neuen Hauptbahnhofs wurden mittlerweile erfolgreich abgeschlossen.

Investiert hat Wien Energie in den Ausbau von Fernkältezentralen und -netzen bisher 29 Mio. Euro, für die nächsten fünf Jahre sind weitere 50 Mio. Euro geplant. Bis 2020 sollen 200 Megawatt Fernkälte installiert werden, derzeit sind es rund 24 MW.

Umweltfreundlicher aber nicht billiger

Fernkälte ist zwar für die Kunden nicht billiger als herkömmliche Klimaanlagen, dafür aber deutlich umweltfreundlicher. Es gibt zwei Varianten zur Versorgung: Entweder wird direkt beim Abnehmer eine Kältezentrale errichtet, oder es erfolgt die Lieferung von einer Fernkältezentrale über Fernkälteleitungen zum Kunden. Die bei der Müllverbrennungsanlage Spittelau errichtete Fernkältezentrale beispielsweise versorgt unter anderem das AKH Wien oder die Universität für Bodenkultur. Fernkälte, die über Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) aus der Müllverbrennung kommt, benötigt laut Wien Energie nur ein Zehntel der Primärenergie herkömmlicher Kälteerzeuger.

Ein Beispiel: Für die Klimatisierung des AKH Wien werden in der Spittelau 1.570 MWh an fossilen Ressourcen verbraucht, mit modernen Kompressionskältemaschinen im Krankenhaus vor Ort wären es für denselben Kältebedarf rund 15.600 MWh. An CO2-Emissionen entstehen in der Fernkältezentrale Spittelau pro MWh 50 Kilogramm, bei herkömmlichen Klimaanlagen wären es rund 290 Kilogramm.

Die Fernkältezentrale Spittelau ist allerdings wegen des Einsatzes von "CO2-neutralem" biogenen Müll in einer Sondersituation. Aber auch bei Fernkälte, die mit der durchschnittlichen Wiener Fernwärmeerzeugung bereitgestellt wird, beträgt die Einsparung von Primärenergieeinsatz und CO2-Emissionen gegenüber herkömmlichen Klimaanlagen noch 65 Prozent, so die Wien Energie.

Europa klimatisiert weniger als USA

In Europa sind derzeit rund 50 Prozent aller Büroflächen klimatisiert, in den USA und Japan sind es 80 Prozent. Einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie zufolge dürfte die Zahl der Raumklimageräte europaweit von 7,4 Millionen im Jahr 1996 auf 33 Millionen im Jahr 2020 steigen. Klassische "Fernkältestädte" sind in Europa etwa Paris, Stockholm, Helsinki, Amsterdam oder Barcelona. In Österreich gibt es Fernkälte unter anderem neben Wien und Linz auch noch in St. Pölten.

Bei der Fernwärme, die in der Bundeshauptstadt seit den 1970-er Jahren massiv ausgebaut wird, will man laut Wien Energie bei Heizen und Warmwasser auf einen Marktanteil von 50 Prozent kommen. Fernkälte in Wohnungen ist vorerst aber noch Zukunftsmusik. (APA)