Zum Abschluss der ersten Sitzungsperiode des neugewählten ungarischen Parlaments prahlte Ministerpräsident Viktor Orbán mit seinem Erfolg: In 56 Tagen habe man mehr getan als die sozialliberalen Regierungen in den letzten acht Jahren. Er hat recht: Mit der Zweidrittelmehrheit hat seine Fidesz-Partei die Weichen für ein völlig neues System gestellt. Die bei der Wende 1989/ 1990 eingebauten verfassungsmäßigen Bremsen der Exekutivmacht wurden laut dem Verfassungsjuristen Gábor Halmai bereits aus dem Weg geräumt.

Der willensstarke Stratege der Macht will schnell und unwiderruflich durch 58 Gesetzes- und Verfassungsänderungen Rahmenbedingungen schaffen, um den Fidesz zum alleinherrschenden Machtfaktor in jenem "zentralen politischen Kraftfeld" zu machen, in dem er für die "kommenden 15 bis 20 Jahre" ungehindert schalten und walten kann. Dieses strategische Ziel hatte sich Orbán bei einer geschlossenen Veranstaltung bereits im Herbst 2009 zum Ziel gesetzt.

Der potenziell wichtigste Parlamentsbeschluss war die Wahl des populären 68-jährigen Fidesz-Politikers und olympischen Medaillengewinners im Fechten, Pal Schmitt, zum Staatspräsidenten. Der einstige Vizesportminister unter dem Kadar-Regime und Fidesz-Listenführer bei der Europawahl ist bekannt als ein Mann des vorauseilenden Gehorsams. Der Staatspräsident nominiert den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes, den Obersten Staatsanwalt und die Ombudsmänner. Er kann - wie es sein Vorgänger László Sólyom es oft getan hatte - gegen Gesetze ein Veto einlegen und sie an das Parlament zurücksenden. Als Begleitmusik der neuen Zeit wurde allerdings praktisch der ganze juristische Stab aus dem Präsidialamt bereits entlassen. Ein neues Gesetz sorgt übrigens auch dafür, dass die Staatsbeamten jederzeit und ohne Begründung mit zweimonatiger Kündigungszeit entlassen werden können. Die Mitglieder des Verfassungsgerichtes werden nunmehr auch von der Regierung nominiert und vom Parlament gewählt. So hat Orbán den Politologen und Ex-Staatsminister István Stumpf ohne jegliche juristische Erfahrung zum Mitglied des Verfassungsgerichts befördert.

Es rollt eine beispiellose Umbesetzungswelle auf allen Ebenen an. Von der Armeespitze bis zum Katastrophenschutz, von der Lotterie zu den Staatsbahnen, vom Pferderennen zum Rechnungshof wurden Fidesz-Parteileute als Leiter eingesetzt. Der wichtigste Schritt ist die angestrebte totale Machtübernahme bei den staatlichen Medien. Eine einzige neue Superbehörde wird die TV- und Radiosender sowie die Nachrichtenagentur MTI finanziell und personell kontrollieren. Eine bekannte Fidesz-Medienexpertin wurde von Orbán soeben zur Chefin für neun Jahre (!) ernannt. Die geplante "Medienverfassung" nimmt wohl auch die privaten Medien ins Visier.

Die total diskreditierten Sozialisten bilden keine schlagkräftige Opposition. Durch die Gesetze über die doppelte Staatsbürgerschaft für die Auslandsungarn und über den Tag des Gedenkens an Trianon, durch den populären Widerstand gegen die internationalen Finanzinstitutionen hat Viktor Orbán der rechtsextremen Jobbik den Wind aus den Segeln genommen. Der Weg zum Ausbau seines "Systems der Nationalen Zusammenarbeit" ist frei. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 12.8.2010)