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Geschäfte machen, aber bitte mit Stil: Sergej Minajews Roman "Seelenkalt" dringt in die glamourösen Kreise der Moskauer Clubbing-Elite vor - mit Protagonisten, die nicht unbeschadet bleiben.

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Sergej Minajew: "Seelenkalt", Heyne, 2010, 382 Seiten, 12 Euro

Coverfoto: Heyne

Autor und TV-Moderator Sergej Minajew

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Wien - In Verdrängungsgesellschaften ist es nun einmal so, dass Menschen einzig an ihrem Marktwert gemessen werden. Selbst jene, die sich auf die Butterseite geboxt haben, definieren sich ausschließlich über Brandings und Mastercard. Wer das nicht einsehen will, dem widerfährt Gewalt.

Als 2006 in Russland Sergej Minajews als satirischer Schlüsselroman der "Generation Putin" verkaufter Debütroman Duchless erschien - eine englisch-russische Worterfindung für "geistlos" -, wurde er von der "seriösen" Literaturkritik als grotesk-überzeichnet verschmäht. Vielleicht auch, weil man sich mit solchen Urteilen einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung möglichst schnell entziehen wollte. Dennoch wurde der Roman zum millionenfach verkauften Bestseller, der selbst Dan Browns globale Literaturwalze Sakrileg überholte. Und auch die nun vorliegende deutsche Übersetzung Seelenkalt ist nicht etwa in einem Verlag für das Wahre, Gute und Schöne erschienen. Der Roman wird in der reißerischen Reihe "Hardcore" des Heyne-Verlags veröffentlicht.

Damit tut man Sergej Minajew ein wenig unrecht. Zwar kann man dem als Kind der sowjetischen Intelligenzija aufgewachsenen, studierten Historiker durchaus "Seelenkälte" und Zynismus vorwerfen. Während er später allerdings als Weinimporteur ein Vermögen machte, entdeckte er auch die nicht nur zu ihrer Zeit gesellschaftlich dringlichen Arbeiten von Pop-Literaten wie Christian Kracht, Frédéric Beigbeder und Michel Houellebecq. Er publizierte diese in einem eigens gegründeten Verlag. Für einen Mann, der beteuert, dass die Eröffnung der ersten McDonald's-Filiale in Moskau für ihn ein wichtigeres biografisches Erlebnis darstellte als der Fall der Berliner Mauer, ein deutlicher Hinweis auf dessen Lebenseinstellung.

Mafiose Geschäfte

Dank des Erfolges von Seelenkalt ist der 35-jährige Sergej Minajew heute eine nationale Berühmtheit, inklusive eigener TV-Talkshow. Eine umstrittene, aber gewichtige Stimme, wenn es darum geht, gallig den Kapitalismus russischer Prägung zu kommentieren - und dabei doch Teil des Establishments zu bleiben.

In Seelenkalt berichtet Minajew also aus der Businessman-Schule. Der Ich-Erzähler agiert als prototypischer Vertreter einer Generation heutiger Twens und Thirty-Somethings, die ihr Leben einzig dem Geld, den Frauen und den Nachtklubs gewidmet haben, ohne sich dabei besonders anstrengen zu wollen. Minajew bezeichnet dies als "Format 3-D" : Damen, Dollars, Dealer. Hinzu gesellt sich bald auch ein viertes D, jenes der Depression.

Der Protagonist arbeitet im mittleren Management eines französischen Lebensmittelkonzerns, der den russischen Markt mit überteuerten Gemüsekonserven erobern will. In der Folge wird der Leser Zeuge von Korruption und Erpressung, also dem zum Klischee gewordenen Geschäftsgebaren des mit der Mafia unzertrennlich verbundenen Wirtschaftslebens Russlands. Und er taucht mit Minajew in die nächtliche Welt Moskaus ein. Eine unersättliche Maschine, die am Ende das Geld ihrer Konsumenten verdaut, die menschlichen Wracks aber angewidert ausspeit.

Tagsüber schaut man bei Meetings in der Firma vorbei, stählt den Körper in Fitnessstudios, um ihn nachts mit Wodka und Koks wieder rückzubauen. Man macht auf Dienstreisen Gegengeschäfte mit lokalen Konzernmanagern, die Geld beiseitegeschafft haben. Und der Ich-Erzähler sowie sein bester Freund geraten schließlich in die Bredouille, als sie unterschlagenes Geld in einen Nachtklub investieren. Der wird nie öffnen. Die Geschäftspartner haben sich ins Ausland abgesetzt.

In seinen besten Momenten liest sich Seelenkalt, als würde Michail Bulgakows Meister mit seiner Margarita in die Disco gehen - wenngleich die Sprache weniger literarische Ambitionen hegt, als sie den derben Ton moderner Geschäftswelten dokumentiert. Anders auch als Wiktor Pelewins in die mystische Sciencefiction weisenden Sichtungen der russischen Gesellschaft kommt Minajew mit seinen, von handwerklichem Geschick oft völlig entzauberten satirisch-dokumentarischen Reflexionen über die eigene Verderbtheit zum Punkt.

Am Ende flüchtet der Ich-Erzähler nach einer drogenverseuchten Nacht aus Moskau aufs Land. Ähnlich wie in Wenedikt Jerofejews Klassiker Die Reise nach Petuschki weiß man nicht genau, ob es sich dabei um eine Halluzination, das Delirium oder die Himmelfahrt handelt. Das moderne Russland, ein Albtraum selbst mit Platin-Card. (Christian Schachinger/DER STANDARD, Printausgabe, 11. 8. 2010)