Quasi olympischer Wettstreit der emotionalen Art (von links): Ann-Beth Solvang, Martin Oro, Jeffrey Francis, Raffaella Milanesi.

Foto: Innsbrucker Festwochen / R. Larl

Innsbruck - Die Zeit ist eine Herrin ohne Gnade. Sie lässt immer neue Menschen die ewiggleichen Sachen machen, also etwa geboren werden und sterben, und dazwischen ein wenig lieben und sehr viel leiden. Die Menschheit rächt sich, in dem sie ihr Lieben und Leiden künstlerisch zum Ausdruck bringt. Dieser Ausdruck ist wiederum den Moden der Zeit unterworfen.

In der Oper der Barockzeit waren Affekte en vogue. Nicht individuelle Gefühle, sondern universelle, ewig gültige Affekte. Her damit! Dachte sich auch Pietro Metastasio, als er das Libretto der Opera seria L'Olimpiade verfasste und darin also einen griechischen König mit ödipalen Ängsten und zwei sich über Kreuz lieben müssende Bessergestellten-Paare mit camouflierten Identitäten (Inzestgefahr inkludiert!) Selbstmordversuche in Serie sowie einen quasi olympischen Wettstreit der emotionalen Art durchleben ließ: Wer liebt, wer leidet am intensivsten?

Diese Affekte-Schau wurde vom 25-jährigen, ein Jahr vor seinem Tod stehenden Giovanni Battista Pergolesi anno 1735 musikalisch prächtig eingekleidet: Mit seiner reich orchestrierten, lustvoll melodischen L'Olimpiade verlebendigte, sentimentalisierte Pergolesi die hüftsteife Gattung der Opera seria. Alessandro De Marchi, der neue künstlerische Leiter der Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, agiert in einem engeren Ausdrucksrahmen als sein Vorgänger René Jacobs: Mit beinah mädchenhafter Grazie trippelte er durch Pergolesis Ton-Gärtlein, brachte alle Triebe des Emotionalen in eine liebliche Fasson; wie ein Schatten folgte der Italiener (sowie die flink-subtile Academia Montis Regalis) der hochvirtuosen Sängerschaft.

Von zauberleiser Leichtigkeit war Raffaella Milanesi als Königstochter Aristea; ihrem Möchtegern-Lover und Zwillingsbruder Licida hätte eine divaeske Helmut-Berger-Irrlaunigkeit gut zu Charakter gestanden - Jennifer Rivera lieh ihm nur ihren braven Sopran. Den von den Liebesbanden zu Aristea (sexuell) und Licida (platonisch) fast zerschnürten Leichtgewichts-Olympioniken Megacle gab Olga Pasichnyk Einsatzwille auch in luftiger Höhe, Ann-Beth Solvangs High-Society-Schäferin Argene hatte Körper und Kraft. Nuancierter, glänzender, variabler als Markus Brutscher (als Licidas Lehrer Aminta) kann man Rezitative nicht singen, davor hätte selbst Clistene (gegen Ende bemerkenswert: Jeffrey Francis) sein königliches Haupt neigen können.

Alexander Schulin (Regie) ließ Metastasios Possodrama mit Leid-Schlagseite sowie in Barockkostümen und einem allseitig inspizierbaren Barocktheater (Bühne und Kostüme: Alfred Peter) passieren; anstelle eines barocken Bouquets an fantasievollen Inszenierungs-Beigaben aber hatten allein die exzellenten darstellerischen und vokalen Leistungen der Sänger sowie Orchester und Dirigent den altgriechischen Extrememotionsmarathon über seine fünfstündige Dauer zu tragen. (Stefan Ender, DER STANDARD/Printausgabe, 10.08.2010)