Foto: Solmaz Khorsand

In der Gandamack Lodge, ein englischer Pub.  

Foto: Solmaz Khorsand

Für die letzten Tage in Kabul ist etwas Nabelschau angesagt: Über uns, die Fremden, die es geschafft haben ihr Dasein in einem Paralleluniversum in Kabul zu fristen. Tagsüber lesen wir von den Night Letters, den Warnbriefen der Taliban an ihre Landsleute, müssen ungewollt schmunzeln über die stümperhaften Drohungen wie "wir werden dich töten, wie noch nie ein Muslim einen anderen getötet hat" nur um nicht in vollkommene Paranoia zu verfallen. Wir hören von den Schulmädchen in den Provinzen, deren Schulen mit Pestiziden von den Taliban ausgeräuchert werden; den ermordeten und eingeschüchterten Kandidaten für die kommenden Parlamentswahlen und nicht zu vergessen den kürzlich ermordeten Ärzten in Badakhshan.

Des Nachts steht Betäubung auf dem Programm, insbesondere am Wochenende. Dann kehren wir ein in die Oasen der Stadt, den Pubs, Bars und sogar Clubs, wo zu Lady Gaga abgetanzt wird als gäbe es kein Morgen. Hier können wir die Demut gegenüber den Einheimischen ablegen, Schluss mit der kulturellen Sensibilität, hier kann schon einmal gerätselt werden, was Afghanin denn eigentlich unter der Burka trägt. Dekadent? Definitiv.

Wohlstandskinder und Entwicklungshelfer

Junggesellinnen feiern ihren Abschied, Praktikanten versuchen einander zu beeindrucken mit der absurderen Afghanistan-Geschichte und der Rest flirtet hemmungslos darauf los. Keiner hinterfragt die Motive seines Gesprächspartners, sei es der Entwicklungshelfer, dessen Fünf-Jahresplan es vorsieht von Konflikt zu Konflikt zu hoppen, ehrgeizige Wohlstandskinder, deren charismatische Professoren sie mit einer eigentümlichen Faszination für Afghanistan infiziert haben, junge Afghanen auf der Suche nach ihren Wurzeln oder jene, die gerne im Chaos leben, weil es die eigenen Probleme so klein erscheinen lässt.

Das afghanische Personal weiß nicht so recht wie es mit uns Westlern umgehen soll, wenn die Fremden volltrunken die Innenhöfe der angesagten Gästehäuser voll kotzen und sich der Illusion hingeben wollen, dass Kabul in punkto Party keiner westlichen Metropole nachsteht. Gefallen tut es den Afghanen nicht, erregen doch solche Gelage den Zorn der Taliban. Für einige ist nur eine Frage der Zeit bis sie den Sündenpfuhl Kabul aufmischen. Bis dahin haben die Fremden sturmfrei. (Solmaz Khorsand aus Kabul, derStandard.at, 8.8.2010)