Die World Changers Church in Atlanta ist der Weiheort der neuen afroamerikanischen Mittelschicht in den USA. Wer gut verdient, gilt hier als besonders gottesfürchtig.

Foto: Herrmann

Selfmade-Millionär Herman J. Russell (rechts) hatte gegen mehr Vorurteile zu kämpfen als heutige schwarze Entrepreneure wie Sonya Jones.

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Mit harter Arbeit will man hier der Armut entkommen, die das Leben der Afroamerikaner bis heute prägt.

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Wenn Herman J. Russell aus seinem Bürofenster schaut, hoch auf einem Hügel über der Stadt, dann schaut er auf ein kleines Manhattan. Wolkenkratzer reiht sich an Wolkenkratzer, gleißend unter der südlichen Sonne. Der Turm der Bank of America, 312 Meter hoch, ragt aus der Skyline Atlantas heraus wie das Empire State Building aus den Straßenschluchten New Yorks. Das kreisrunde Peachtree-Hotel lässt an einen Strohhalm denken. Jede amerikanische Großstadt hat so eine Silhouette, Wolkenkratzerinseln sind Statussymbole, City-Standard, oft austauschbar. Russell aber sieht das alles mit anderen Augen. Er blickt auf sein Lebenswerk.

Der alte Mann ist Baulöwe, ein klassischer Selfmademan. Vom Tellerwäscher zum Millionär: Bei ihm hat die Geschichte einen besonderen Dreh. Dass er mit elf bei seinem Vater lernte, wie man Sand und Zement im richtigen Verhältnis mischt, gehört als Episode zu dieser Story. Das Besondere ist, dass er allein wegen seiner Hautfarbe Hürden zu nehmen hatte, wie sie keinem Weißen in den Weg gestellt wurden.

Als Russell seine Firma gründete, 1952, wurden Afroamerikaner nicht mal in den Hotdog-Buden des Südens bedient, geschweige denn in feinen Restaurants. Im Kino mussten sie unterm Dach sitzen, im Bus auf den hinteren Plätzen. 1968 war Russell der erste Afroamerikaner, der die Schallmauer seiner Branche durchbrach. Die Handelskammer Atlantas nahm ihn auf, "war wohl ein Irrtum", witzelt er und lächelt ein schelmisches Lächeln. "Die wussten offenbar nicht, dass ich schwarz bin. Schwarze Unternehmer gab's in ihrer Welt nicht. Sie sahen meine Bilanzen und luden mich ein. Na ja, und als ich dann kam, konnten sie mich schlecht wieder ausladen."

Russell kannte noch Martin Luther King, den Prediger, der mit flammenden Reden den Ruf Atlantas begründete, die Wiege der Bürgerrechtsbewegung zu sein. King ruhte sich am Swimmingpool des Baulöwen von den Strapazen des Kämpfens aus. "Ohne Martin", sagt der Alte, "wäre das alles noch immer ein Traum."

Schön ist Atlanta nicht. Die zentrale Peachtree Street: mehr Betonschlucht als Flaniermeile. Touristen mühen sich ab, das Flair des Romans Vom Winde verweht zu finden, Margaret Mitchells alten Südstaatencharme, und suchen vergebens. Atlanta ist Boomtown. Kommerz. Kaum eine US-Metropole wuchs schneller, jedenfalls bevor mit der Finanzkrise eine Delle folgte. Von 2000 bis 2007 stieg die Einwohnerzahl im Ballungsraum Greater Atlanta um 23 Prozent, auf über fünf Millionen. Aus Atlanta kommen Coca-Cola, CNN, der Baumarktriese Home Depot. Der Flughafen zählt zu den größten der Welt.

Schon William Hartsfield, von 1937 bis 1961 Bürgermeister, prägte den Spruch von der Stadt, die zu beschäftigt sei, um zu hassen: "A city too busy to hate". In Alabama stellte sich der Steinzeit-Gouverneur George Wallace derweil persönlich vor Schultüren, um zu verhindern, dass schwarze und weiße Schüler im selben Klassenzimmer sitzen. Die klügeren Lokalmatadore Atlantas, konservativ, aber nicht verbohrt, stellten die Weichen anders. Jahre später machte der Spruch vom schwarzen Mekka die Runde. Hat er seine Berechtigung, Herr Bürgermeister? "Na, Mekka würde ich nicht sagen", antwortet Kasim Reed. "Aber nirgendwo sonst empfängt man afroamerikanisches Business mit so offenen Armen", sagt Reed.

Evangelium des Geldes

Bässe wummern, ein Gospelchor singt rockige Lieder. Dann schreitet Creflo Dollar mit himmelblauer Krawatte ins Scheinwerferlicht. Bevor er seine Predigt beginnt, lässt er den "increase" einsammeln. Wer glaubt, dass er bessere Geschäfte macht, weil er auf ihn hört, auf Dr. Creflo A. Dollar, der soll nach vorn kommen und einen Teil seines Gewinns spenden, dezent im Kuvert, versteht sich.

Der Pfarrer der World Changers Church im Süden der Stadt predigt das Wohlstandsevangelium, wonach Geld und Glaube Hand in Hand gehen. Wer Geld macht, ist automatisch gottesfürchtig. Und umgekehrt. Was der Pastor nicht leiden kann, ist Selbstmitleid. "Ach, sie haben mich gefeuert, weil sie mich nicht leiden können", imitiert er einen, den er einen notorischen Verlierer nennt. "Sie haben mich gefeuert, weil sie Schwarze nicht mögen. Sie haben mich gefeuert wegen all ihrer Vorurteile."

Es folgt eine Kunstpause, dann wird der imaginäre Verlierer zusammengestaucht. "Hör auf, hör auf, hör auf! Wenn du gut bist bei dem, was du machst, kümmert es keinen, welche Hautfarbe du hast. Niemand will wissen, woher du kommst."

Ein paar Straßen weiter schiebt Sonya Jones stolz einen Sweet Potato Cheesecake über die Theke. Eine Kalorienbombe aus Süßkartoffeln, cremigem Käse, Eiern und Zucker, gewürzt mit Muskat. Ein Genuss, sogar Bill Clinton hat Sonyas Cheesecake probiert. Dennoch, der kleine Laden mit dem großen Namen Sweet Auburn Bread Company hat zu kämpfen, die Rezession wirkt noch nach. "Harte Zeiten", sagt die Chefin, "da muss man durch. Wenn die Zeiten hart sind, kommen die Harten erst richtig in Fahrt." (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 09.08.2010)