"'Solidarität' ist heute schon so ein Tabuwort, das man in Diskussionen ganz schlecht anbringen kann. Solidarität ist ja den Sozialdemokraten auch schon peinlich."

Foto: derStandard.at/Winkler-Hermaden

Heurigengespräch in der "Wildsau" in Hietzing mit der - laut Heurigen-Homepage - "schönsten Aussicht über Wien".

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"Ich habe im Käfig mit türkischen und jugoslawischen Kids Fußball gespielt. Immer wenn ich damals in der 'Kronen Zeitung' gelesen habe, dass es nicht funktioniert, habe ich mir gedacht, auf unserer Stiege funktioniert es schon."

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"Ich war in meiner Klasse eher eine Ausnahme. Also das waren im Gymnasium schon eher die Kinder von Steuerberatern, von Unternehmern."

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Wolfgang Schlögl, Mitglied der Band "Sofa Surfers", entspricht so gar nicht dem Klischee des gemütlichen, selbstgefälligen Wieners. Mit derStandard.at analysiert er seine Gemeindebau-Nostalgie, gibt den Grünen gratis Nachhilfe für den Wahlkampf und spricht über das Dilemma, dass Bobo-Eltern ihre Kinder in "Bildungsghettos" stecken. Warum er Wien manchmal nicht aushält und trotzdem in keiner anderen Stadt leben will, erzählte er beim Heurigengespräch in der Hietzinger "Wildsau".

derStandard.at: Sie sind mit 18 Jahren in einen Gemeindebau in Wien-Favoriten gezogen. Wie war das als Student und Musiker im Gemeindebau?

Schlögl: Als ich mit 18 dorthin gezogen bin, habe ich das als schön erlebt. (zögert) Ich versuche das jetzt für mich selbst abzuklopfen, ob ich das zu sehr romantisiere. Es hat dort damals schon Menschen aus verschiedenen Erdteilen gegeben. Ich habe im Käfig mit türkischen und jugoslawischen Kids Fußball gespielt. Immer wenn ich damals in der "Kronen Zeitung" und anderen Medien gelesen habe, dass es nicht funktioniert, habe ich mir gedacht, auf unserer Stiege funktioniert es schon.

derStandard.at: Warum die Angst vor dem Romantisieren?

Schlögl: Weil schon meine Urgroßmutter dort gelebt hat. Sie war eine Bekannte von Otto Bauer. Die hat ihre Wohnung irgendwie auch als Belohnung für Straßenkämpfe gekriegt, die war sozialdemokratisches Urgestein.

derStandard.at: Sie kommen aus einer typisch sozialdemokratischen Familie.

Schlögl: Man muss schon sagen, es gibt dort so etwas wie Gemeindebau-Adel. Man kann die Wohnung überschreiben. Zuerst war meine Mutter drinnen, dann ich. Das ist Teil der sozialdemokratischen Geschichte und auch Teil meiner Familiengeschichte. Ich habe dazu immer noch ein Naheverhältnis oder zumindest ein leicht verklärtes Verhältnis.

derStandard.at: Seit 90 Jahren hält die SPÖ bei allen freien Wahlen den Bürgermeister. Die SPÖ muss in Wien irgendwas richtig machen.

Schlögl: Da haben Sie schon Recht. Ich habe einen "soft spot" (eine Schwäche, Anm.) für Wien, weil ich ja in anderen großen Städten gelebt habe, und Wien funktioniert wirklich gut. Es gibt Aspekte, die ich an Wien sehr schätze. Ich habe es auch ganz bewusst so gehalten, dass ich mit meiner Familie hier leben will. Es hätte auch andere Möglichkeiten gegeben.

Ein Kind in Wien aufzuziehen, ist von meiner Erfahrung her aber auf jeden Fall das Beste. Da nehme ich diese ausländerfeindlichen Dinge in öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf. Ich habe leicht reden, aber meine Frau ist Perserin. Die wird im Bus als Türkin beschimpft. Das nimmt sie hin, dafür dass wir in anderen Bereichen Sicherheit haben.

derStandard.at: Trotz der besagten Stimmung, die mitunter herrscht, kamen Sie, nachdem Sie unter anderem auch eine Zeit lang in Los Angeles gelebt haben, zurück nach Wien. Warum?

Schlögl: In Wien gibt's einfach Kinderbeihilfen, ein halbwegs gutes Kindergarten-Netz. Das ist in Paris ganz schlimm. In London kann man nicht einmal die Mieten zahlen. Das funktioniert in Wien auch halbwegs. Auf dieser administrativen Ebene ist Wien toll. Ich meine Verkehrsmittel oder auch Freibäder.

derStandard.at: Ganz zufrieden sind Sie aber nicht?

Schlögl: Auf einer administrativen Ebene bin ich zufrieden in Wien. Auf einer stimmungsmäßigen Ebene, die durch viele Faktoren erzeugt wird, bin ich extrem unzufrieden. Dass da immer so ein brauner Kack aufgekocht wird die ganze Zeit.

derStandard.at: Und was halten Sie von der Stadtregierung?

Schlögl: Ich habe auch das Gefühl: Ja, die SPÖ macht schon was richtig. Trotzdem ist das Wahlrecht scheiße, weil ich finde, dass ich noch lieber eine rot-grüne Koalition hätte, um jetzt einmal ganz Tacheles zu reden. Und ich unterstütze auch die Grünen, obwohl es jetzt nicht der heißeste Scheiß ist, die Grünen zu unterstützen (lacht).

derStandard.at: Das war einmal cooler?

Schlögl: Ja. ich find's trotzdem wichtig sich zu outen.

derStandard.at: Klingt auch wieder nicht ganz zufrieden.

Schlögl: Ein Problem der Grünen besteht im "Preaching to the converted" (offene Türen einrennen, Anm.). Ich war bei einem Grünen-Jour fixe. Da bin ich zuerst auf einem tollen Tisch gesessen, dann bei Akademikern. Und die haben mir das Gefühl vermittelt, sie wollen ja gar nicht, dass die Grünen größer werden (lacht). Ich hab' mich gefragt: Warum steht dieser Professor, mit dem ich geredet habe, für "Bio", wenn er keine Biobauern überzeugen will? Warum machen die Grünen Politik für Migranten, und die Migranten wählen die Grünen nicht?

derStandard.at: Agieren die Grünen zu ungeschickt?

Schlögl: Ich kann keiner Partei generell etwas unterstellen. Ich habe bei grünen Jour-Fixes einfach Leute kennen gelernt, denen das sichtlich nicht wichtig ist, in Arbeiterbezirke zu gehen, um Leute aufzureißen.

derStandard.at: Leute wie Ihre Eltern. In Ihrer Familie waren Sie der erste, der studiert hat.

Schlögl: Ich war in meiner Klasse eher eine Ausnahme. Also das waren im Gymnasium schon eher die Kinder von Steuerberatern, von Unternehmern. Wobei ich glaube, dass die Durchlässigkeit 1990 noch besser war als heute. Jetzt hat die Durchlässigkeit im System nachgelassen, je stärker in der Gesellschaft diese Idee wird: "Du musst kämpfen", "Du muss effizient sein". Das ist halt die Antipode zur Solidarität.

derStandard.at: Sie bedauern diese Entwicklung.

Schlögl: Ja, "Solidarität" ist heute schon so ein Tabuwort, das man in Diskussionen ganz schlecht anbringen kann. Weil die Leute damit nichts mehr verbinden. Weil es auch keine Partei gibt, die sich das wirklich stark auf die Fahnen heftet. Solidarität ist ja den Sozialdemokraten auch schon peinlich.

derStandard.at: Geschätzt haben Sie an Ihren Eltern, dass sie trotz proletarischen Hintergrunds nicht antiintellektuell waren.

Schlögl: Genau. Es ist ja extrem interessant, dass dieser Antiintellektualismus jetzt schleichend wieder kommt. Mir fallen Kronen-Zeitungs-Artikel ein, wo der Dichand Studenten punziert hat. So was sickert wieder in die Bevölkerung ein. Ich sehe mich schon noch als Erbe der Kreisky-Jahre. Seither gab es aber wenige Sozialreformen in Österreich.

derStandard.at: Sie haben einmal gemeint, es bestehe die Gefahr, dass "Bobo-Eltern" ihre Kinder in ein "Bildungsghetto" stecken. Sie haben damit offensichtlich den elitären Charakter mancher Bildungseinrichtungen angesprochen.

Schlögl: Das ist echt schwer. Meine Kinder gehen in den Sargfabrik-Kindergarten. Das ist ein tolles Wohnprojekt – von Alt-68ern entworfen. Sie haben eine alte Sargfabrik renoviert und toll hergerichtet: Es gibt ein Schwimmbad, ein Theater, einen Konzertraum. Eher alles so auf Batik-T-Shirt. Aber es gibt einen super Kindergarten, der von den Leuten, die dort wohnen, querfinanziert wird. Die zahlen alle noch einmal ein paar Euro, um den Kindergarten am Leben zu halten. So viel zu Solidarität, die dort gut funktioniert. Der Kindergarten ist, wenn ich ehrlich bin, so ein Ghetto. Wer bringt sein Kind in einen Montessori-Kindergarten? Das sind dann eh die "converted people".

derStandard.at: Ein Dilemma?

Schlögl: Es ist ein Dilemma. Ich werde mein Kind auch nicht in den 15. Bezirk in die Schule geben, sondern wahrscheinlich in die WUK-Schule. Ich werde halt auch schauen – es ist echt hart, dass ich das über die Lippen krieg, aber es ist so – dass der Anteil der nichtdeutschsprechenden Schüler so gering wie möglich ist. Das macht jeder, wenn man ehrlich ist. Es ist kein gutes Zeugnis für die Wiener Schullandschaft.

derStandard.at: Haben Sie das Gefühl, dass hinsichtlich Kulturförderung von der Stadt Wien genug getan wird?

Schlögl: Ich fang jetzt sicher nicht zu raunzen an, dass ich nicht genug Geld bekomme. Der Mailath-Pokorny (Wiener SPÖ-Kulturstadtrat, Anm.) ist schon ein leiwander Typ (lacht).

derStandard.at: Das müssen Sie jetzt sagen.

Schlögl: Jeder weiß, dass Mailath-Pokorny nichts entscheidet. Er schüttelt Hände und ist überall. Ein gutes Beispiel ist das Popfest. Da sagt er, das wollen wir wieder machen. Aber er entscheidet es ja gar nicht. Aber ich bin im Nachhinein auch gar nicht auf Mailath-Pokorny böse, wenn es nicht stattfindet. Weil er nur der Postillon ist. Er hat innerhalb der Rathauspolitik wenig zu entscheiden, was Budgetposten betrifft. Das Kulturbudget wird generell immer mehr "gesliced".
Ich wünsche mir ja, dass jeder, der tolle Sachen macht, die auch verwirklichen kann. Noch wichtiger ist, dass es eine Infrastruktur gibt und ein Bewusstsein, dass wir hier in der Stadt Musik oder Kunst machen. Das würde zu Attraktivität und Sexiness führen.

derStandard.at: Was jetzt Festivals und Events betrifft: Gibt's da genug in Wien für die Größe, die es hat? Wie ist das im Vergleich zu früher?

Schlögl: Es geht schon noch mehr. Für viele bin ich ja Exponent eines Wiener Hypes in den 90er-Jahren. Tatsache ist, dass unser Erfolg erst 2002 gekommen ist.

derStandard.at: Sie sprechen die Zeit an, in der auch Kruder&Dorfmeister weltweit erfolgreich waren.

Schlögl: Genau. Wir haben mit dieser Musik aber eigentlich gar nichts zu tun. Aber ich schätze Kruder&Dorfmeister total. In dieser Phase des Hypes hat man geglaubt, dass Wien der heiße Scheiß ist. Aber es war nichts Nachhaltiges. Und es ist schon lang vorbei. Die Leute, die das noch zitieren, das ist so wie Cordoba im Fußball.

derStandard.at: Und wie ist es aktuell um die Wiener Clubszene bestellt?

Schlögl: Ich gehe nicht mehr viel weg. Es gibt gut eingesessene Leute, die einen Business-Plan haben. Dazu gehört mittlerweile schon das "Flex". Das sind Leute, die auch von äußeren Kräften immer mehr gezwungen worden sind, ein Geschäft machen zu müssen. Wie das Flex noch eine Ursuppe war, war es ja "gefährlich". Dann hat es super funktioniert und niemand hat Angst mehr davor. Es geht aber auch die Innovationskraft verloren. Um kreativ und innovativ zu sein, müssen gewisse Variablen offen bleiben.

Ich sehe momentan nur tolle Gastro-Konzepte aufpoppen, wo man gemütlich weggehen kann – zum Beispiel am Donaukanal. Dagegen habe ich nichts, aber ich finde, es braucht genauso Innovationsflächen, wo die Kids Sachen ausprobieren können, die auch durchaus scheitern sollen oder dürfen. Es gibt diese jungen Kids, aber ich bin für die ein Dinosaurier.

derStandard.at: Als Sie in Wien mit dem Fortgehen begonnen haben, mit 16 oder 17, waren Sie viel im U4.

Schlögl: Das war Grufti, meine Rock-Grunge-Zeit. Da war das U4 noch viel cooler als heute. Ich hab auch noch Rock gespielt.

derStandard.at: Noch kurz zur Wiener Wahl. Ihre Prognose?

Schlögl: Ein höheres FPÖ-Ergebnis als in den Umfragen. Wünschen tu ich mir, dass es niedriger ist, als ich befürchte. Cool wäre, wenn es nur 18 Prozent wären. (Lukas Kapeller, Rosa Winkler-Hermaden, 9.8.2010)