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Anleihenzinsen sind in vielen Bereichen so niedrig wie nie. Doch Investoren verschlingen das Angebot neuer Schuldtitel ohne zu kauen.

Diese Woche hat sich das US-Unternehmen IBM 1,5 Milliarden Dollar vom Kapitalmarkt geholt, für einen jährlichen Zinssatz von 1,14 Prozent (Businessweek). Das ist die niedrigste Rendite, die es jemals auf eine Dollar-Unternehmensanleihe gab, und sie ist ein Paradebeisspiel für die derzeitige Situation am Kapitalmarkt. Die erfolgreiche Platzierung der Anleihe hat viele Beobachter und Investoren perplex zurückgelassen.

Deutsche Bank Investmentstratege Jim Reid fasst die zentrale Frage so zusammen: „The most common question we had yesterday was why anyone would buy corporates with a yield with a one-handle when equities have higher dividend yield and growth potential?“ Warum sollte ein Investor also die niedrig verzinste Anleihe zeichnen, wo doch die Dividendenrendite der Aktie höher ist?

Die IBM-Aktie ist aber offenbar nicht die Messlatte für die IBM-Unternehmensanleihe gewesen (am Ende des Tages ist die Dividende ja von der Gewinnsituation abhängig), sondern die derzeitigen Renditen bei Staatsanleihen. Denn viele Zinssätze sind auf ihre tiefsten Stände gefallen, ob das nun zweijährige US-Staatsanleihen (in den USA sind besonders kurz- bis mittelfristige Zinsen niedrig) oder 10-jährige japanische Bonds sind, die wieder weniger als ein Prozent pro Jahr bringen (das Handelsblatt schreibt von einer Flucht nach Japan). Bringen die Staatstitel also immer weniger Zinsen muss das auch für Unternehmens- und verbriefte Anleihen gelten, so offenbar das Argument. Dabei ist die Anleihen-Rally sehr untypisch. Dieses Jahr haben Unternehmensanleihen 8 Prozent, Staatsanleihen 6 Prozent Rendite gebracht, OBWOHL die Zinsen bereits so niedrig sind (siehe Grafik, es ist klar ersichtlich, dass die fünfjährigen Erträge mit einem Anleiheninvestment fast ausschließlich vom Zinsniveau erklärt sind, siehe auch EconomPicData). Viel Raum für weitere Gewinne bleibt hier also nicht (denn für die Zinsen bleibt auch nicht viel Raum nach unten).

Deflationsängste als Grund für Niedrigstzinsen?!

Für Bären wie David Rosenberg schreit das Zinsumfeld lauthals „Deflation!“, deutet also auf ein Fallen der Preise in einigen Volkswirtschaften hin. Denn dann würden selbst so niedrige Renditen wie jene auf die IBM-Anleihe Sinn machen. Aber Deflation wird keineswegs eingepreist, wenn man einen Blick auf inflationsgeschützte Anleihen wirft. In den USA liegen die Inflationserwartungen für die nächsten zehn Jahre knapp unter zwei Prozent, nicht viel, aber deutlich über einer Deflation. Der Anleihenmarkt spricht also mit gespaltener Zunge.

Also bleibt noch die Erklärung, die etwa von Institutionen wie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich in ihrem Jahresreport angedeutet wurden. Das Nullzinsumfeld verzerrt Investitionsentscheidungen, es vernebelt die Sicht von Anlegern mit einer immer steigenden Suche nach Rendite, denn der risikolose Zinssatz liegt quasi bei Null. In den Worten der BIZ: "policymakers will need to consider the distortions caused by prolonged conditions of monetary ease. After all, sustained low interest rates have been identified by many as an important factor that contributed to the crisis." Auch so lässt sich erklären, dass Investoren wie verrückt Junk Bonds zeichnen, also Anleihen, die Ratings unter BBB haben. In Europa werden diese Anleihen dieses Jahr ihr stärkstes Jahr überhaupt haben, so aktuelle Schätzungen. Der Grund für diesen Finanzierungsboom sind aber nicht große Investitionsprojekte dieser Unternehmen, sondern die niedrigen Zinskosten.

Eines darf nicht vergessen werden: in diesem Umfeld investieren auch Pensionsfonds und -kassen, die deutlich höhere Zinsen erwirtschaften müssen, um die Pensionsansprüche zu decken. Eine Sisyphusarbeit.

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