Kramer-Preisträger Fred Wander

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Wien - Dass der 1917 im siebten Wiener Bezirk geborene Fred Wander - die Eltern aus Czernowitz eingewandert, Vater: Vertreter für Hutmacherfirmen in den Niederlanden, Mutter: Näherin in der Kaiserstraße, beide: ermordet 1942 in Auschwitz - am Freitag, den 25. April (18 Uhr), im Kremser Literaturhaus den Preis der Kramer-Gesellschaft für "Schreiben in Widerstand und Exil" erhält, das ist ja verrückt, denn späte Gerechtigkeit ist unüblich, also verrückt.

Und an Vagabunden, die dies nicht nur durch geschichtlichen Zwang, sondern aus existenzieller Freiheit sind, werden üblicherweise auch keine Preise verliehen. Fred Wander gehörte ja nie zu den Tüchtigen. Als er 1938 auf der Flucht vor Hitler in Paris landet - er hatte zufällig gehört, man könne über das tirolerische Nauders in die Schweiz fliehen, aber die erwischten ihn natürlich und wiesen ihn, ebenso schweizernatürlich, ab - muss ihm ein Clochard erst einmal das Basiswissen beibringen: In welchem Nachtasyl übernachte ich? In seinem Roman Hotel Baalbek wird Wander, Jahrzehnte nach den eigenen Erfahrungen, über ein anderes Nachtasyl und seine ihm in jeder Weise nahen BewohnerInnen schreiben:

Marseille war die letzte Möglichkeit, ein Schiff zur Flucht zu erreichen, und das Hotel Baalbek darinnen "ein aufgescheuchtes Wespennest, ein Getto, eine versunkene Welt". Die hier vergeblich auf ein Weiterreisevisum warten - vergeblich, weil zu wenig prominent, zu wenig reich, zu wenig tüchtig - all diese bilden jenen Stamm der Unauserwählten, zu denen Fred Wander gehört: "Das Dorf Ljuba bei Kishinjow, erzählt einer, er ist eben angekommen, aus Lyon ist er gekommen, vorher aus Dresden, wo er dreißig Jahre gelebt hatte, sein Dorf ist von Kosaken viermal ausgemordet worden und niedergebrannt."

Erst 1996 hat Fred Wander, den man eigentlich zwei Jahrzehnte lang nur als den Ehemann und Herausgeber der Maxie Wander mit ihren Bestsellern Guten Morgen, du Schöne (1977) - Gesprächen mit "einfachen" Frauen aus der DDR - und ihren Krebs-Aufzeichnungen Leben wär eine prima Alternative (1994) - wahrgenommen hatte, seine Autobiografie verfasst. Sie heißt Das gute Leben, ist 1996 bei Hanser erschienen und vergriffen, wie ja auch dieses gute Leben: "Ich habe nie daran gedacht, Schriftsteller zu werden, aber es drängte mich ständig, etwas über die merkwürdigen Käuze, denen ich im Trou (einem Pariser Exilanten-Lokal, Anm.) oder auf der Strasse begegnete, in das alte Geschäftsbuch meines Vaters zu schreiben, wie Gewinne, Spesen und Verluste."

Fred Wander selbst stand mit seinem Leben immer auf der Verlustseite - bis ins Extrem, als er, nach dem Scheitern eines zweiten Fluchtversuchs in die Schweiz, nach Buchenwald deportiert wird -, und dennoch kann er, gebrochen, schreiben von einem "guten Leben": In ein ödes Leipzig gerät er 1955 als Stipendiat des Johannes-Becher-Literaturinstituts. Wieder hatte er das Exil, diesmal dasjenige aus dem Nachkriegsösterreich, gewählt (sofern sich dies "wählen" lässt).

Zuvor hatte er in Wien schon seine spätere Frau Maxie kennen gelernt, und mit ihr zieht er zuletzt in ein "gutes Leben" in einer Siedlung bei Berlin, die bald auch exakt an der Berliner Mauer liegt: "Wie wir leben sollten, darüber redeten wir jeden Tag" - erst recht nach 1968.

Was für eine Liebesgeschichte: Durch die Sätze seiner Autobiografie scheint immer Freds Bewunderung für Maxie Wander durch, ihre Fähigkeit, einfachste Menschen zum Erzählen zu bringen, das Komplizierte im scheinbar Einfachen, das schlechte im vermeintlich guten Leben frei zu legen: Exakt dies vermag auch er. Gratulation. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.4.2003)