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Kirchenverantwortliche haben die Zeichen der Zeit erkannt: Immer mehr Manager halten Einkehr in Mönchszellen und suchen hinter dicken Klostermauern nach neuem Sinn

Foto: APA/dpa/Ken Liu

"Die Werte sind wie ein gut gemachtes Korsett, das das Unternehmen im Alltag stützt, ohne es einzuengen, und das es in der Krise zusammenhält." - Mit diesen Worten haben die Redakteure des Wirtschaftsmagazins Brand Eins eine Entwicklung eingeläutet, die nun mehr und mehr um sich greift: die Renaissance der Werte in Wirtschaft und Unternehmen.

Zu Beginn des industriellen Zeitalters gab es eine solche Werteorientierung schon einmal. Damals haben es die Firmenchefs verstanden, ihren Arbeitern an den Produktionsstandorten das Gefühl zu vermitteln, dass es für jeden Einzelnen einen großen Wert darstellt, zur Unternehmensfamilie zu gehören; dass sie damit nicht nur Geld verdienen, sondern auch Sicherheit, Zugehörigkeit und Sinn gewinnen.

Doch über die Jahre ist diese Werteebene mehr und mehr in den Hintergrund gerückt. "Viele Manager leben noch im 19. Jahrhundert, als Neuerungen aus der Firma oder aus der Branche kamen. Heute hingegen sind es im Wesentlichen die Veränderungen um das Unternehmen herum, die die Geschicke der Firma beeinflussen", konstatierte Peter Drucker vergangenes Jahr in einem Interview mit dem deutschen manager-magazin.

Zeit für Neuorientierung

Es wird also Zeit für eine neue Werteorientierung, die aus dem Unternehmen selbst entsteht. Im besten Fall identifizieren sich Mitarbeiter heute mit ihren eigenen Qualifikationen sowie mit Aufgaben und Projekten, jedoch nicht mehr mit dem Unternehmen. Dazu Managementberater Reinhard K. Sprenger: "Viele Unternehmen missachten das Bedürfnis der Menschen nach einem warmen, sozial-emotionalen Klima, einem fairen Interessenausgleich und einer legitimen, von der Mehrheit der Menschen gestützten Unternehmenspolitik."

Doch wie sollen die Firmen auch an mehr Sinn kommen? - "Es geht ja nicht darum, den moralischen Zeigefinger zu erheben, sondern das ökonomisch Machbare mit dem gesellschaftlich Wünschenswerten zu verbinden", fasst es Professor Rainer Hegselmann zusammen. Der Wissenschafter hat den neuen Studiengang Philosophy & Economics an der Universität Bayreuth mit aufgebaut, wo eine neue Führungskraft-Spezies ausgebildet wird: "Philosophen mit soliden ökonomischen Kenntnissen." Sie sollen in Zukunft helfen, "etwas mehr Vernunft in die Unternehmen zu bringen", hofft Hegselmann.

Als Vorbild für das neue Fach dient der britische Studiengang "Philosophy, Politics and Economics", der an den Universitäten von Oxford und York zu den größten Fachbereichen gehört und als Sprungbrett für künftige Eliten gilt.

Auch beim neu geschaffenen Philosophischen Kolleg für Führungskräfte an der Goethe-Universität in Frankfurt dreht sich alles um die Verbindung von Wirtschaft und Philosophie.

Der Leiter dieser Forschungseinrichtung, Privatdozent und Philosoph Klaus-Jürgen Grün, hat sich aufgemacht, die Human Values des deutschen Topmanagements zu verbessern.

Philosophie-Dienste

Je schneller der Wandel in Gesellschaft und Wirtschaft, desto größer ist anscheinend das Bedürfnis nach "ewigem Wissen". Neben den akademischen Einrichtungen entsteht zurzeit eine Dienstleistungskultur der Weisheit:

  • In Frankreich ist die Idee der persönlichen Philosophieberater, die auf Basis eines Stundenlohns arbeiten, in Mode gekommen.
  • In den USA und England verdrängen Philosophieberater in vielen Fällen den Psychoanalytiker.
  • Auch in Deutschland und Österreich bieten immer mehr Philosophen Lebenshilfe im persönlichen Gespräch an.
  • Im Gastronomiewesen profitiert der Berliner Historiker Uwe Nitsch bereits seit einiger Zeit vom Wissenshunger seiner Gäste, die er bei so genannten Philosophischen Diners begrüßt.
  • Selbst Unternehmensberater setzen immer stärker auf die Sinnsuche - allen voran die neuartigen Shared-Values-Berater. Der bekannteste ist der Amerikaner Rob Lebow. Er hat ein System entwickelt, das einen "Paradigmen-Shift" ermöglicht, eine Unternehmensorganisation, in der jeder seinen Job so gut macht, wie er kann.
"Besonders in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit kommt der christlichen Lehre wachsende Bedeutung zu", weiß Professor Heinrich Stindt, Vorstand beim Kölner Bund katholischer Unternehmer. - Umgekehrt haben auch die Kirchenverantwortlichen die Zeichen der Zeit ebenfalls längst erkannt: In immer mehr Klöstern können gestresste Manager eine Auszeit nehmen und durch Einbindung in den christlichen Alltag zu neuem Sinn und innerer Einkehr finden.

Die Fragen nach dem Sinn, die sich der einzelne Mitarbeiter stellt, lauten: "Kann ich mit meiner Tätigkeit etwas bewirken?" "Sind die Unternehmenswerte mit meinen persönlichen Ansichten kompatibel?" "Ist meine Arbeit ein erfüllender Teil meines Lebens?" - Was gerade für das Recruiting zunehmend entscheidend wird: "Die Top Ten fragen immer stärker nach den ethischen Leitlinien eines Unternehmens", bestätigt etwa Christoph Warnecke, Direktor der Personalentwicklung bei Gerling. (DER STANDARD, Printausgabe, 19./20./21.4.2003)