Dass es vom Amtsantritt des Kabinetts Schüssel II bis zu seiner ersten, von den Meinungsforschern erhobenen Schrumpfung in der Gunst eines sich verwählt habenden Publikums nur so kurze Zeit gedauert hat, ist für die von diesem Irrtum zehrende Volkspartei kein existenzielles Problem. Sollte sie diese Legislaturperiode wider allgemeiner Erwartung durchhalten, besteht genügend Zeit, diese kleine Scharte auszuwetzen, wenn nicht, wird sie es auch überleben, und sei es als zweitstärkste Partei. Eine lästige, aber in langen Jahren vertraut gewordene Rolle.

Anders sieht es für den geschrumpften Koalitionspartner aus. Versuchte sich Klubobmann Herbert Scheibner am Wochenende in einem STANDARD-Interview als Atlas zu präsentieren, der mit der Last einer Pensionsreform auch gleich den Staat auf seinen Schultern trägt - "Da geht es um die Handlungsfähigkeit der Republik" -, konnte er doch nicht verschleiern, worum es wirklich geht: Um die Überlebensfähigkeit der FPÖ. Deren Dilemma liegt ziemlich offen zutage. Sie muss, wenn man den relevanten Stimmen aus ihren Reihen und der Kritik ihrer Spitzen an Konzept und Vorgehen des Bundeskanzlers glaubt, dessen Pensionsattentat, sollte es in seiner derzeitigen Form in den Ministerrat kommen, zu Fall bringen - und peinlicherweise kann sie das auch. Sie kann es sich also aussuchen, ob sie die traurigen Reste ihrer Glaubwürdigkeit oder mit ihrer kaum weniger traurigen Wendebeteiligung einen Eckpfeiler von Schüssels Politik retten will, die voll auch zu Lasten des größten Teils ihrer restlichen Klientel geht.

Das Dilemma der Freiheitlichen schiene noch leichter lösbar, ginge es nur um eine Pensionsreform. So wie diesmal aber die Pensionsfrage mit der Budgetsanierung verschränkt wurde - die Pläne der ÖVP sind in Budgetbegleitgesetze eingebaut -, bedeutete ein Nein zu Schüssels Pensionsideen auch eine Gefährdung der Haushaltspläne der Regierung, die der ÖVP womöglich noch mehr gegen den Strich ginge als ein Nachgeben in Details der Frühpensionierung, und an denen auch die FPÖ kein Interesse hat. Herbert Scheibner ist das natürlich bewusst, weshalb er sich gar so fest an die Hoffnung klammert, alles könnte noch "im Vorlauf" mit dem Koalitionspartner abgestimmt werden, und weshalb er, sollte das nicht gelingen, schon "im Vorlauf" zur Resignation neigt: Auch über eine Volksabstimmung zu einer neuen Pensionsregelung müsse verhandelt werden: "Gibt 's eine Mehrheit dafür, ist es gut. Gibt 's keine, werden wir es nicht durchsetzen können." So sehen Politiker aus, die zu allem entschlossen sind, wenn es um die kleinen Leute geht.

Denn an einer Mehrheit für eine Volksabstimmung könnte ja, wie die Dinge derzeit liegen, nicht der geringste Zweifel bestehen - sie hätte nur zwei Kleinigkeiten zur Voraussetzung: Zunächst, dass die FPÖ ihr jetzt der Öffentlichkeit gegebenes Wort bricht und vor Schüssel zu Kreuz kriecht, um sich nicht der tödlichen Gefahr baldiger Neuwahlen auszusetzen, und dann - zweitens - ihr dem Koalitionspartner gegebenes Wort bricht und eine Volksabstimmung ermöglicht, um das von ihr mitbeschlossene Gesetz wieder zu Fall zu bringen - ihre Mandatare bräuchten sich im Parlament nur der Stimme zu enthalten.

Gewiss, etwas ungewöhnlich selbst für hiesige Verhältnisse, aber was tut man nicht alles, wenn man unbedingt in der Regierung bleiben, aber auch vom Wähler geschätzt werden will? Die FPÖ hängt an der Regierungsbeteiligung wie ein im Koma Liegender am Tropf. Dass er ihren Zustand als willkommenes Disziplinierungsmittel nutzt, darf bei Schüssel vorausgesetzt werden: So lange die FPÖ so weich bleibt, kann er hart bleiben.(DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2003)