Die greisen Führer verharren beratungsresistent, notwendige Entscheidungen werden nicht getroffen, Reformen aus Starrköpfigkeit verzögert, das Murren im verarmten Volk wird immer lauter, es kommt zu Großdemonstrationen gegen die Obrigkeit. Die Menschen flüchteten in Massen aus ihrer Heimat. So begann 1989 der Untergang der Deutschen Demokratischen Republik. Die Berliner Mauer fiel, und ihre Trümmer erschlugen nicht nur das ostdeutsche Regime.

Heute gibt es ein Wiederholungsspiel, die Parallelen zwischen der damaligen DDR und dem heutigen türkischen Nordzypern sind unübersehbar. Rauf Denktas, der 78-jährige Führer der Zyperntürken, ist ein alter Mann, der jahrelang zwar ungebrochenes Machtbewusstsein, aber keinerlei Flexibilität und Lernfähigkeit zeigte. Doch im Vorfeld des Beitrittes des griechischen Inselteils zur EU schwammen Denktas die Felle davon. Zehntausende Zyperntürken demonstrierten zu Jahresbeginn gegen ihren Führer, der außer der Weigerung, einen UN-Friedensplan zu unterschrieben, und seinen anerkannt guten Leistungen auf dem Gebiet des Nepotismus nichts zu bieten hatte.

Unter dem Druck der Demonstrationen lenkte die türkisch-zypriotische Regierung nun ein - und die letzte Mauer in Europa, die Zyperns Türken von den Griechen trennt, gerät ins Wanken: Türken dürfen nun in den griechischen Süden ausreisen und dort, auf künftigem EU-Gebiet, Geld verdienen.

Hätte Denktas die Ausreisesperre nicht gelockert, wäre ihm wie den DDR-Granden das Volk davongelaufen. Miserable Lebensbedingungen, eine marode Wirtschaft und Rekordarbeitslosigkeit bieten Zyperns Türken keine Perspektiven - sie hätten mit Füßen abgestimmt und die Insel in hellen Scharen verlassen. Durch die oft zitierte "normative Kraft des Faktischen", die Normalisierung, die die Grenzöffnung mit sich bringt, ist auch der erste Schritt zum Ende des Denktas-Regimes gesetzt.(DER STANDARD, Printausgabe, 23.4.2003)