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Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld

Stefan Hesse/APA
Vor genau vierzig Jahren erfand Siegfried Unseld auf geniale Weise das Taschenbuch neu: als Medium für neueste literarische und philosophische Texte. Mit der "edition suhrkamp" schuf er die Kultreihe des studentischen Bewusstseins schlechthin.


Frankfurt am Main - Das Kind hat keine Mutter, Väter hingegen ein halbes Dutzend. Die sich, so der notwendige Ursprungsmythos, zum Zweck der Zeugung an lauschigem Ort zusammenfanden: Vom 12. bis 14. Juni 1962 jedenfalls lud Suhrkamp-Verleger Siegfried Unseld die junge Haus-Autoren-Trias Martin Walser, Hans Magnus Enzensberger, Uwe Johnson und die Lektoren Walter Boehlich und Karl Markus Michel ins Schlosshotel Wasserburg am Bodensee.

Nach drei Tagen war der erschöpfende Schöpfungsakt vollzogen: Die edition suhrkamp hatte Konzept und Namen, und mit ihr jene Reihe, deren inhaltlicher Anspruch den damaligen Begriff des Taschenbuchs im deutschsprachigen Raum neu erfand.

Seit der Rowohlt-Verlag zwölf Jahre vor der es-Gründung die ersten Bände seiner Rowohlts Rotations-Romane (kurz rororo) vom Band rollen ließ, hatten immer mehr deutsche Verlage die Möglichkeit wahrgenommen, Bücher, für die sie die Verlagsrechte besaßen, in großer Auflage billig auf den Markt zu bringen.

Siegfried Unselds kopernikanische Wende im Blick auf das billige Buch bestand in der Überlegung, den finanzschwachen, aber wissenshungrigen jungen Lesern, vornehmlich Studenten, nicht länger Klassiker, sondern neue und neueste philosophische, soziologische, essayistische und literarische Werke, möglichst Erstausgaben, günstig zugänglich zu machen.

48 Bände jährlich, jeden Monat vier, erschienen von Mai 1963 an. Zwar sollte es noch fünf Jahre dauern, bis sich die edition suhrkamp ausschließlich den Erstausgaben verpflichtete, ursprünglich handelte es sich nur bei einem Drittel der Titel um Neuerscheinungen. - Doch die Autoren der ersten zwanzig Bände lesen sich als Who's Who der literarischen Intelligenz der Nachkriegszeit - der männlichen, wohlgemerkt, denn einzig mit Nelly Sachs fand eine Frau Eingang in den erlesenen Männerbund, wo sich ansonsten Bert Brecht, Samuel Beckett, Max Frisch, Günter Eich, Theodor W. Adorno, Ernst Bloch, Ludwig Wittgenstein, Walter Benjamin hinter den ersten Regenbogen-Rücken der edition suhrkamp versammelten.

Womit auf Gründungsvater Nummer sieben zu verweisen wäre: Willy Fleckhaus, den Vollender der schlichtestmöglichen Covergestaltung. Fleckhaus ist nicht nur der Erfinder der 48 Spektralfarben für die jährlichen 48 Bände, auch der Rest seines Entwurfs ist von vollkommener Eleganz: acht waagerechte Linien durchziehen die untere Hälfte der Umschlagseite, darin linksbündig, in einheitlicher Schriftgröße, Autor, Titel.

Wobei Kenner registrieren, dass von Band 1001 an, dem Start der "Neuen Folge" der es, eine geringe Veränderung den auch inhaltlichen Neustart sinnfällig kommentiert: Seit damals, seit 1979 also, sind die schmalen Linien und die Autoren-Namen aus dem linken Untergrund in die obere Mitte gerutscht. Galt die edition nämlich noch 1968, gemeinsam mit der Reihe rororo aktuell, als intellektueller Begleiter, wenn nicht Vordenker, der Studentenrevolte, als Publikationsort schlechthin der Frankfurter Schule, sanken Ende der 70er-Jahre die Auflagenzahlen.

Weswegen Siegfried Unseld eine Neuakzentuierung unter Reduktion der theoretischen und Verstärkung der auflagenstärkeren literarischen Werke forderte. Günther Busch, bis dato verantwortlicher Lektor der Reihe, verließ Suhrkamp, und Raimund Fellinger übernahm die undankbare Aufgabe, eine Kultreihe zu verändern.

Ob es an der Programmreform liegt, ob an Fellingers Auswahl, ob schlicht an der zunehmenden Verlagsvielfalt auf dem Buchmarkt sei dahingestellt. Tatsache bleibt, dass die es seit den Achtzigerjahren ihre intellektuelle Führungsrolle deutlich eingebüßt hat. Nicht zuletzt durch die hausinterne Konkurrenz der stw-Reihe, der Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, finden aktuelle theoretische Strömungen, beispielsweise die Cultural Studies, nicht länger ihre verlegerische Heimat in der edition.

Neues aus Österreich

Hingegen sind Lyrik und Drama, längere Zeit vernachlässigt, zurückgekehrt. Literatur, nicht zuletzt aus Österreich. Weshalb sich unter den 15 Erstausgaben der Geburtstags-Edition (neben 15 es- Klassikern, diese leider in einer spukhässlichen, allen Fleckhausschen Vorgaben spottenden Edition) gleich zwei Bände aus Österreich finden: Ende Juni Friederike Mayröckers Prosatext Die kommunizierenden Gefäße - und bereits nächste Woche Josef Winklers Leichnam, seine Familie belauernd . (DER STANDARD Printausgabe, 23.04.2003)