Es war bisher ein Sommer der außergewöhnlichen Ruhe und gleichzeitig der außergewöhnlichen Spannung an der israelisch-libanesischen Grenze. Der blutige Zwischenfall am Dienstag weckt Kriegsängste in einer Region, in der die Pulverfässer tatsächlich viel zu nahe aneinander stehen, dass nicht das eine das andere entzünden könnte. So ist immer wieder die Rede davon, dass diesmal Syrien in einen israelisch-libanesischen Krieg hineingezogen werden könnte.

Die Neuheit, dass in den Zusammenstoß mit der israelischen Armee diesmal die reguläre libanesische Armee - und nicht die Hisbollah-Miliz - involviert war, hat eine gute und eine schlechte Seite. Die gute ist, dass die Dynamik sich hoffentlich leichter kontrollieren lässt: Denn da stehen sich erstens zwei staatliche und - theoretisch zumindest - rationale und ihren Bürgern gegenüber verantwortliche Akteure gegenüber, die zweitens auch mit der internationalen Gemeinschaft im Dialog stehen.

Dass dieser "Dialog" von Washington aus mit Nachdruck geführt wird, dessen kann man sicher sein. Die libanesische Armee, über die jahrelang die Klage geführt wurde, dass sie ihren Gewaltmonopol-Auftrag nicht wahrnimmt und sich von Hisbollah und bewaffneten Kräften in den Palästinenserlagern auf der Nase herumtanzen lässt, wurde in den vergangenen Jahren aufgebaut und konsolidiert: mithilfe vor allem der USA, die sich das pro Jahr etwa 400 Millionen Dollar kosten lassen. Dass diese Waffen jetzt gegen Israel eingesetzt werden könnten, lässt die Köpfe in der US-Regierung rauchen.

Die schlechte Nachricht ist, dass mit der Konsolidierung der libanesischen Armee die Integration der Hisbollah in die libanesische Politik einherging und die beiden nicht mehr so leicht auseinanderdividiert werden können wie früher. Die Anliegen der Hisbollah im Süden des Libanon sind heute weitgehend deckungsgleich mit jenen der Armee.

Dies ist nicht nur, aber auch eine Folge des Kriegs von 2006, der als Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah geführt wurde, für den aber auch andere Libanesen und das ganze Land einen hohen Preis zahlten. Erst nach 2006 kam die libanesische Armee überhaupt in den Süden. Das war eine gute Entwicklung - jetzt sieht man jedoch auch die Gefahren.

Die Hisbollah war physisch nicht in den Vorfall von Dienstag verwickelt, aber es laufen natürlich Spekulationen über den Hintergrund des offenbar einzelnen libanesischen Soldaten, der das Feuer auf die Israelis eröffnete. Die Hisbollah - der eine Anklage in der Uno-Untersuchung des Attentats gegen Expremier Rafik Hariri 2005 droht - könnte Interesse daran haben, Öl ins Feuer zu gießen.

Alles lief bei diesem Zwischenfall nach einem vorgegebenen Skript ab, und wieder einmal ist erschreckend, dass nicht verhindert werden konnte, was bereits an der Wand geschrieben stand. 2007 war es schon einmal zu einer ähnlichen Situation gekommen: Offenbar befanden sich die israelischen Soldaten in einer "Enklave" - das sind Zonen zwischen der "blauen Linie" (internationale Grenze) und dem Sicherheitszaun, der sich auf israelischem Boden befindet. Dazu haben sie das - auch vom Libanon prinzipiell anerkannte - Recht. Was Beobachter jedoch anmerken ist, dass Israel in der letzten Zeit seine Präsenz in diesen Zonen erhöht, was die Gefahr von Zwischenfällen steigen lässt. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, Printausgabe, 5.8.2010)