"Es ist kein Bewältigungsbuch. Paula kommt einfach vor. Hinterher den Namen zu ändern wäre mir wie ein Verrat erschienen. Feigheit. Ich bin nicht feig" : Monika Helfer.

Foto: Ohlbaum / O-Töne

Mit Stefan Gmünder sprach sie über Schmerz, Selbstmitleid und Komik.

"Wo gibt es für eine wie mich einen Mann, den ich lieben kann?" , fragt Josi Bartok, die Hauptfigur in Monika Helfers neuem Roman Bevor ich schlafen kann (Deuticke Verlag). Ehe sie diese Frage stellt, wird das Leben der Frau, die als Psychiaterin auf der Baumgartner Höhe arbeitet, in seinen Grundfesten erschüttert. Brustkrebs wird diagnostiziert, sie muss operiert werden, und ihr Mann outet sich nach mehr als zwei Jahrzehnten Zusammenleben samt zweier Kinder (beide um die Zwanzig) als Homosexueller. Josi lässt Familienheim, ihren Mann, dessen Freund und Job hinter sich und bezieht eine Wohnung im achten Wiener Gemeindebezirk. Auf einer griechischen Insel (wo Monika Helfers "richtiger" Mann Michael Köhlmeier im Roman ein Erzählseminar hält) lernt sie dann einen verheirateten Mann kennen, der sie interessieren könnte – und ein Mädchen namens Paula, das ihr Leben verändern wird ...

Standard: Ihr Buch handelt vom Schmerz und davon, wie schwer es ist, Altes loszulassen. Am Ende steht aber die Hoffnung, man hat das Gefühl, Josi wird es schaffen.

Helfer: Ich wollte eine tragische Geschichte leicht erzählen, heiter und spröd zugleich. Die Krankheit der Hauptfigur passt auf die ersten paar Seiten. Ihren harten, trockenen Humor hätte ich gern. Ich habe beim Schreiben dieser Seiten laut gelacht. Die Tatsache, dass der Mann homosexuell ist, verändert hingegen ihr Leben. Mit der Krankheit kann sie leben. Mit dem Mann und der Erinnerung an die vielen gemeinsamen Jahren nicht. Sie muss sich neu erfinden. Ist das tragisch oder komisch? Ich finde, sie hat etwas von einem Quijote an sich, nicht? Die Redlichkeit, mit der sie aus Illusionen Realität zusammennagelt.

Standard: Apropos Don Quijote – Josi psychologisiert wenig, der Blick auf ihre Nächsten, aber auch auf sich selbst ist eher distanziert. Könnte man sagen: kalt?

Helfer: Kalt? Wenn es um ihre Patienten geht, ja. Ein Freund ist Psychiater, der hat mir sehr viel erzählt, auch von seinen vielen Verteidigungsstrategien gegenüber den Patienten. Josi kann sich keine Sentimentalitäten leisten. Sonst würde sie zu ihrer eigenen Patientin mutieren. Das wäre sicher auch interessant gewesen, aber doch eher vor hundert Jahren. Psychologisieren würde heißen, dass sie Zeit hätte. Sie hat aber keine Zeit. Wenn man im Begriff ist, sich aus einem Abgrund nach oben zu retten, misst man nicht Blutdruck, das tut man hinterher vielleicht.

Standard: Durch die Amputation ihrer Brüste fühlt sich Josi als eine Art Zwitterwesen, sie kleidet sich in Anzüge, "wie ein zarter Herr" . Das Thema weibliche und männliche Identität(en) scheint Sie aber nur am Rande interessiert zu haben?

Helfer: Das mit dem zarten Herrn ist ein verzweifeltes Spiel für Josi. Kann sein, es ist ihre Art, Psychologie mit sich selbst zu betreiben. Klingt seltsam. Sie macht sich sich selbst fremd, verfremdet sich. Kann man das verstehen? Sie ist weder äußerlich ein Herr noch innerlich zart. Aber sie ist ein zarter Herr. Den kann sie beobachten – wie einen Clown.

Standard: "Bevor ich schlafen kann" ist auch ein großes Buch über die Liebe. Oder deren Risiko?

Helfer: Was ist das Risiko? Dass sie aufhört? Darin unterscheidet sich die Liebe nicht von allem anderen. Dass man verletzt wird? Darin unterscheidet sich die Liebe nicht von einem scharfen Küchenmesser. Das Risiko besteht darin, dass man nicht wissen kann, was man in der Liebe aus sich selbst macht. Sie kann zum Vorschein bringen, was man sich selbst wert ist.

Standard: Und was ist mit dem Zorn, mit der Wut über die Verluste?

Helfer: Josi braucht den Zorn zum Weiterleben. Sie verfügt ja leider nicht über die Gabe des Selbstmitleids. Das ist eine in sehr schlechtem Ruf stehende Gabe. Aber jeder weiß: Wenn's besonders weh tut, kann das Selbstmitleid eine gute Salbe sein. Hinterher sagt man: Wäh!

Standard: "Man muss das Unglück ernst nehmen" , schreiben Sie. Dasselbe gilt auch für das Glück, das Josi mit einem Mann, den sie auf einer griechischen Insel kennenlernt, vielleicht wiederfindet.

Helfer: Glück und Unglück, beides kann schiefgehen, man muss es probieren. Wenn Unglück schiefgeht, kommt Komik heraus. Charly Chaplin ist ein gutes Beispiel dafür. Ich finde, es ist ein sehr komisches Buch geworden. Man kann sich schieflachen. Eine Zeitlang habe ich gedacht, ich nenne es "Eine komische Frau" . Hätte auch gepasst.

Standard: Auf besagter Insel hält Michael Köhlmeier ein Erzählseminar, und Josi lernt dort dessen Tochter Paula kennen, die das geheime Zentrum des Buches bildet. Köhlmeier ist im "richtigen Leben" Ihr Mann, und Ihre gemeinsame Tochter Paula starb 2003 bei einem Unfall. Hatten Sie keine Bedenken, dass das Buch, wie es in einigen Rezensionen schon geschehen ist, zu sehr auf eine identifikatorische Lesart reduziert wird?

Helfer: Dass Paula in dem Roman auftaucht, ist einfach beim Schreiben geschehen. Es war überhaupt nicht vorgesehen. Das mag daran liegen, dass Paula in meinem Kopf ständig präsent ist. Vielleicht ist Beschwörung dabei. Wahrscheinlich ist es so, ja. Aber es ist kein Bewältigungsbuch. Paula kommt einfach vor. Hinterher den Namen zu ändern wäre mir wie ein Verrat erschienen. Feigheit. Schiss vor Kritikern. Ich bin nicht feig.

Standard: "Das Einzige, was man nicht lernen kann, ist die Erinnerung" , schreiben Sie. Mit dem Zusatz, dass das Erinnern eines der genuinen Felder der Literatur ist. War es schwer, den Roman zu schreiben?

Helfer: Das Romanschreiben an sich finde ich schwer, sauschwer. Ein Balanceakt ohne Seil. Das Seil wird vom Artisten imaginiert. Man geht in der Luft und behauptet, man gehe auf dem Seil. Und so weiter.

(DER STANDARD/Printausgabe, 05.08.2010)