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"Jakobs Traum" (1639) von dem italienischen Maler Jusepe de Ribera. Warum der Mensch träumt, darauf hat die Wissenschaft noch keine befriedigenden Antworten.

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Wenn Dom Cobb und sein Team sich an eine seltsame Apparatur anschließen und unmittelbar danach einschlummern, werden Träume wahr: Die Spione klinken sich via Dream-Sharing in das Unbewusste anderer Leute ein, stöbern in deren innersten Gedanken und Gefühlen - und können ihren Opfern über komplizierte Traum-im-Traum-Sprünge letztlich auch neue Ideen einpflanzen. Die Expeditionen sind präzise geplant, das oft atemberaubende Setting durchdesignt, der Traum (meistens) unter Kontrolle.

Christopher Nolans Science-Fiction-Thriller Inception, der aktuell in den Kinos läuft, macht sich zunutze, was die Menschheit von jeher fasziniert: das Träumen und seine Möglichkeit, im Schlaf in realitätsnahe und doch so bizarre und wahnwitzige Welten zu reisen. Und die Fähigkeit des Klarträumens, also das bewusste Steuern des Traums (Artikel rechts).

Was dahintersteckt, also warum wir träumen, woher Träume kommen und welche Funktion sie eigentlich haben, beantwortet der Film freilich nicht. Und auch die Wissenschaft hat noch keine klaren Antworten gefunden. "Es gibt viele Theorien, die experimentell abgesichert sind. Aber wirklich bewiesen ist noch nichts", sagt Gehard Klösch, Psychologe und Schlafforscher an der neurologischen Universitätsklinik Wien.

Grundsätzlich prallen zwei Ansätze aufeinander: Die von Sigmund Freud begründete psychoanalytische bzw. therapeutische Traumforschung geht davon aus, dass sich in den Traumbildern bedeutsame Botschaften verbergen, die den "Königsweg zum Unbewussten" weisen, wie Freud es ausdrückte. Zumindest aber diene das Träumen dazu, Tagesreste zu verdauen und zu integrieren, indem sie mit bereits gemachten Erfahrungen abgeglichen und mit Erinnerungen vermengt werden.

Auf der anderen Seite stehen Neurowissenschafter wie der Traumforscher Allan Hobson von der Harvard-Universität, die Träume quasi als Betriebsunfall des Gehirns klassifizieren: Aus dem Gewitter an Neutronen versucht das Gehirn, eine einigermaßen sinnvolle Geschichte zu basteln, die keinerlei Bedeutung hat. Andere Theorien besagen, dass beim Träumen das Gehirn von unbrauchbaren synaptischen Verbindungen entrümpelt wird, wiederum andere gehen davon aus, dass der Traum ein evolutionäres Überbleibsel ist, das unseren Vorfahren half, Nacht für Nacht Gefahren zu simulieren und damit zu trainieren.

Gefühle statt Vernunft

Fest steht: Angst, Freude, Lust und Frust sind wesentliche Inhalte von Träumen. "Man träumt nur emotional Bedeutsames", sagt Gerhard Klösch. "Während des REM-Schlafs, in dem man besonders lebhaft träumt, sind alle Gehirnareale aktiv, die mit Gefühlen zu tun haben. Die Kontrollzentren im Frontalcortex, die für Rationalität zuständig sind, sind eher inaktiv." Das erkläre, warum Zeit und Raum im Traum aufgelöst sind.

Als Ende der 50er-Jahre der REM-Schlaf entdeckt wurde - "rapid eye movement", eine Schlafphase, in der der Schläfer heftig mit den Augen rollt, während die Muskulatur praktisch gelähmt ist -, glaubte man, das Zentrum des Traums im primitiven Hirnstamm lokalisieren zu können. Viele Experimente später wies der südafrikanische Neurowissenschafter und Psychoanalytiker Marc Holms nach, dass REM-Schlaf und Traum getrennt voneinander gesteuert werden und bei der Traumproduktion auch höhere Hirnregionen eine Rolle spielen - und näherte sich wieder Freuds Theorie von der tieferen Bedeutung von Träumen.

Noch steht die empirische Traumforschung aber vor dem Dilemma, dass sich Träume nun einmal nicht einfangen lassen. Auch wenn moderne Kernspintomografen in Kombination mit Elektroenzephalografen immer exaktere Daten und Bilder über aktivierte Gehirnregionen, Hirnströme, Muskelimpulse und Augenbewegungen liefern, wie Manuel Schabus, Schlafforscher der Abteilung für Physiologische Psychologie der Uni Salzburg, erklärt.

Gedächtnistraining im Traum

In den Schlaflabors der Uni Salzburg erforscht man die Zusammenhänge zwischen Lernen und Schlaf. Per Neurofeedback wird etwa die Gehirnaktivität von Insomniepatienten trainiert, damit sie lernen, schneller einzuschlafen. Träume können auch das Gedächtnis trainieren. "Im REM-Schlaf halten Erregungskreise die Erinnerung wach, wodurch es wesentlich leichter ist, Gelerntes zu konsolidieren", sagt Köschl. "Besonders Bewegungsabläufe und Koordination werden wiederholt und geübt." Das hat auch eine kürzlich an der Harvard Medical School durchgeführte Studie bestätigt, bei der Versuchspersonen, die sich ein Labyrinth einprägen sollten, die Aufgabe nach einem Schläfchen inklusive Traum deutlich besser erfüllten. Ob dies nun die eigentliche Funktion der nächtlichen Halluzinationen ist, bleibt offen. Genauso, ob es jemals möglich sein wird, filmreif in anderer Leute Träume einzudringen. (Karin Krichmayr /DER STANDARD, Printausgabe, 04.08.2010)