Schüler im ehemaligen Sauna-Gebäude des KZs Auschwitz-Birkenau. Heute sind hier private Fotografien ausgestellt, die nach der Befreiung gefunden wurden.

Foto: Ariane Sept

Heidemarie Uhls Projekt zu Ausstellungen in KZ-Gedenkstätten und deren Erhaltungspolitik soll in die Neugestaltung der Gedenkstätte Mauthausen einfließen.

Foto: Standard/Corn

Standard: KZ-Gedenkstätten zählen heute zu den meistbesuchten zeitgeschichtlichen Museen. Nach Auschwitz kommen jährlich 1,3 Millionen Besucher, nach Mauthausen rund 200.000. Was steht hinter diesem großen Interesse an den Orten des NS-Terrors?

Uhl: Dieses massive Interesse hat erst vor wenigen Jahren eingesetzt. Eine Zäsur bildet sicher das Jahr 1989, nach dem Zusammenbruch des Kommunismus wurden die Vernichtungslager im östlichen Europa in neuer Form zugänglich. Aber auch in Österreich galten die Orte des Schreckens bis in die 80er primär als Gedenkstätten der ehemaligen KZ-Häftlinge, die auch von den Häftlingsorganisationen gestaltet wurden. 1985, anlässlich des 40. Jahrestages der Befreiung, wurde den Schulen vom Unterrichtsministerium ausdrücklich empfohlen, mit den Jugendlichen dorthin zu fahren. Eine Lehrerin hat mir berichtet, dass Eltern und Kollegen völlig entsetzt waren, als sie mit ihrer Klasse Anfang der 80er-Jahre nach Mauthausen fahren wollte.

Standard: Warum dieses Entsetzen? Wollte man den Schülern die Bilder der Gewalt nicht zumuten?

Uhl: Nein, die Vorbehalte hatten andere Gründe. Mauthausen galt quasi als "kommunistisch besetzter" Ort, da die Häftlingsorganisationen weitgehend kommunistisch dominiert waren. Es war kein Ort, an dem sich österreichische Politiker gerne sehen ließen. Mauthausen war im öffentlichen Bewusstsein nicht verankert.

Standard: Wie ging man in anderen Ländern mit diesen Gedenkstätten um?

Uhl: In der DDR wurden sie politisch genutzt, sie waren Teil der Staatsideologie. Bezeichnenderweise wurden wenige Monate nach der Wende dort die Gedenkstätten-Ausstellungen geschlossen und abgebaut oder überarbeitet, weil sie zu innig mit der kommunistisch-antifaschistischen Ideologie der DDR verbunden waren. Die Neugestaltung von Sachsenhausen, Buchenwald und Ravensbrück gab schließlich den Anstoß für eine umfassende Veränderung der Gedenkstättenlandschaft.

Standard: Auf welche Art wurden die Gedenkstätten verändert? Gibt es überhaupt so etwas wie eine "zeitgemäße Präsentation"?

Uhl: Mitte der 1980er-Jahre erwachte ein neues Interesse an diesen ganz konkreten historischen Orten. Ein wesentlicher Anstoß ging von der Initiative zur Ausstellung über die "Topografie des Terrors" im Herzen von Berlin aus. Man wollte wegkommen von der Schockpädagogik, der Konfrontation mit den Bildern von Leichenbergen, und stärker die Geschichten konkreter Menschen in den Vordergrund stellen. Wer hat wen denunziert? Wer waren die Gestapo-Leute? Wer waren die Häftlinge? Mehr Augenmerk wird auch auf das Verhältnis zwischen diesen Orten und der Außenwelt gelegt. Meist hat ja die ganze Region durch ein KZ profitiert - es wurden Arbeitsplätze geschaffen, Dienstleistungen und Produkte dorthin verkauft. Außerdem spielt bei einer zeitgemäßen "Inszenierung" der Ort selbst eine große Rolle. Immerhin geht es bei Gedenkstätten stark um Atmosphäre und darum, die stummen Dinge zum Sprechen zu bringen, das nicht mehr Sichtbare erfahrbar zu machen. Dazu werden unterschiedlichste künstlerische Gestaltungsformen vom Lichtdesign bis zur Landschaftsgestaltung eingesetzt.

Standard: Man wollte also Zeitgeschichte anschaulicher präsentieren und leichter "konsumierbar" machen...

Uhl: Ja. Aber dieses Bemühen, alles auf eine konkrete Ebene herunterzubrechen, hat auch seinen Preis: Der Blick auf die Strukturen der Macht wird in den Hintergrund gerückt. Es werden zwar berührende persönliche Schicksale erzählt, aber die sozioökonomischen Rahmenbedingungen, ideologische Aspekte etc. geraten damit etwas aus dem Blickfeld.

Standard: Gibt es auch in Österreich Bemühungen, die Gedenkstätten zeitgemäßer zu gestalten?

Uhl: Gedenkstätten hatten durchaus eine Pionierrolle in der Aufarbeitung der NS-Geschichte: Die 1970 eröffnete Ausstellung in Mauthausen war praktisch die erste zeitgeschichtliche Dauerausstellung in Österreich. Hier sieht man sehr deutlich die Erzählweise und Ästhetik der 70er- Jahre: Etwa ist ein großer Teil berühmten Österreichern gewidmet, die im KZ waren. Dabei hat man sehr darauf geachtet, dass alle politischen Parteien gleichmäßig vorkommen. Zudem ist die Erzählung in Schwarz-Weiß gehalten - der Nationalsozialismus wird nicht als Teil der eigenen Geschichte präsentiert, die Österreicher erscheinen nur als Opfer. Um hier zu zeitgemäßen Konzepten zu kommen, wurde vom Innenministerium im Frühjahr die Neugestaltung der KZ-Gedenkstätte Mauthausen ausgeschrieben.

Standard: Mittlerweile ist das Interesse an diesen immer besser "inszenierten" NS-Gedenkorten so groß, dass der Begriff des "Dark Tourism" geprägt wurde. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Uhl: An diese moralisch-ethisch aufgeladenen Orte werden große Erwartungen geknüpft - etwa die Hoffnung auf eine "Immunisierung" gegen Rechtsextremismus. Natürlich werden sie dadurch auch ein lohnendes Ziel für Provokationen, siehe Ebensee. Es gibt selbstverständlich ganz unterschiedliche Motive für einen Gedenkstättenbesuch. Auch Voyeurismus spielt eine Rolle, die wohligen Schauer, die der Schrecken verursacht. Bertrand Perz, der wissenschaftliche Leiter der Neugestaltung der Gedenkstätte Mauthausen, hat auf die vielfältigen Funktionen dieser Orte hingewiesen - Friedhöfe, Gedenkstätten, zeithistorische Museen, Lernorte. Dieses Potenzial haben auch Gemeinden wie Mauthausen oder Ebensee erkannt, die in den letzten Jahren zunehmend begonnen haben, sich mit ihren Gedenkstätten zu identifizieren. Die Akzeptanz der in den 1990er-Jahren errichteten Euthanasie-Gedenkstätte Schloss Hartheim zeigt, welche positiven Synergieeffekte sich daraus entwickeln können. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 4.8.2010)