Eines der selteneren Exemplare guter Anzugträger aus Afghanistan. 

Foto: Solmaz Khorsand

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Herrenmodengeschäft in Kabul

Foto: Reuters/Ahmad Masood

Afghanistan wird geführt von Mittzwanzigern, zumindest hinter den Kulissen. In einem Land mit einer Alphabetisierungsrate von gerade mal 30 Prozent ist ein Bachelorabschluss Gold wert. Und kann der Betreffende auch noch Englisch, ist er zu Höherem berufen. Es sind Berater, Ministeriumsmitarbeiter, Journalisten und NGO-Direktoren - alles junge Afghanen.

Aufgewachsen in Pakistan und dem Iran, kehren sie nach Jahren des Exils zurück und erobern die zweite Liga des Landes. Die Schönen arbeiten in den Medien, bevorzugt für den hippen Sender Tolo Tv, ein MTV Verschnitt mit den angesagtesten Shows und indischen Seifenopern, gehen abends feiern und fraternisieren sich mit den Expats.

Die Ernsthafteren arbeiten für die Regierung und Entwicklungsorganisationen, machen Tag für Tag Gelder locker für Alphabetisierungsprogramme, gehen nach der Arbeit nach Hause zu Frau und Kindern, und fallen todmüde um zehn Uhr ins Bett, damit sie morgens noch vor Arbeitsbeginn um sechs Uhr ihre Weiterbildungskurse auf der Universität besuchen können (die anderen machen in der Mittagspause ihr Fernstudium via Internet).

Bis vor wenigen Jahren hätte diese Gruppe alles gegeben für ein Asyl in Europa oder Amerika, hatten die Fluchtroute bis ins Detail im Kopf und das Geld für die Schmuggler zusammen gekratzt. Heute fliegen dieselben Leute zu Workshops und Seminaren in ihre ehemaligen Wunschländer - und kommen wieder zurück nach Afghanistan.

Die Beweggründe sind verschieden. Für die einen ist es das Vaterland, das sie mit aufbauen wollen, für die anderen das Geld, das sich in Afghanistan machen lässt. "Ich bin nicht so heuchlerisch zu behaupten, dass es schierer Patriotismus ist" meint Massoud, ein Mitarbeiter im Landwirtschaftsministerium, "meine Aufstiegschancen sind in Afghanistan derzeit besser. Und finanziell bin ich auch abgesichert." Er weiß, dass er mit seinem Wirtschaftsmagister und dem fließenden Englischkenntnissen das ganz große Los gezogen hat in Afghanistan.

"Was mache ich in Deutschland? Kellnern?", lacht Farshid. Der 28-Jährige arbeitet als Berater und gehört zu Kabuls Anzugträgern, die aus einer amerikanischen Anwaltsserie entsprungen sein könnten (im Gegensatz zum Gros junger Afghanen, die John Travolta aus Saturday Night Fever zu imitieren versuchen). Schon mit 18 Jahren hat Farshid für die UNO als Übersetzer gearbeitet, heute hat er es bis ins Erziehungsministerium geschafft.

Die Zukunft heißt für ihn Afghanistan, hier will er seine Kinder großziehen. Ein bisschen Ausgangssperre, die hunderten Checkpoints, ein Anschlag hie und da, Farshid habe schlimmeres erlebt, meint er lapidar. Damals in seiner Kindheit, als die Mujahideen um die Vorherrschaft in Kabul gekämpft haben und er als kleiner Junge permanent in den Keller verschwunden ist um in Deckung zu gehen. "Mit dem bisschen Terrorismus werden wir schon fertig", sagt er und beißt herzhaft in seine Hawaiipizza. Die Herrschaft der Taliban nehmen sie nur noch wie einen bösen Traum wahr, ein kollektives Blackout, das sie verdrängen lässt, wie man damals die Männer auf offener Straße verprügelt hat nur weil ihre Bärte zu kurz waren.

Neun Jahre ist das nun her. Die Anfangseuphorie ist weg. Das erhoffte Paradies haben die Amerikaner den Afghanen nicht gebracht. Mit Karzais Regierung sind sie nicht zufrieden, Millionen Dollar wurden ins Land gepumpt und sind nie wirklich angekommen. Der Fortschritt lässt auf sich warten, das Gros der Afghanen nimmt die Ausländer als Besatzer wahr und dennoch: "Die Tatsache, dass wir Afghanen uns heute trauen unsere Regierung, den Präsidenten, die Taliban zu kritisieren, das ist bereits ein Erfolg", meint Arash, Direktor einer NGO.

Die junge Elite bewahrt sich ihren Optimismus und denkt in großen Maßstäben. "Alles ist möglich" lautet das Motto. Studenten planen bereits ihre Kampagnen für die nächsten Parlamentswahlen in fünf Jahren, ihre Karrieren als zukünftige Minister und nicht selten fällt der Satz: "Wenn ich einmal an der Macht bin, ...". Und schaut man sich die Geschwindigkeit mancher Karrieren an, sind ihre Zukunftsszenarien gar nicht so unwahrscheinlich.

Dass die Taliban eines Tages zurückkommen werden, wollen sie nicht glauben. "Man kann die Zeit nicht zurückdrehen." Und wenn doch, wissen sie, dass sie, die mit den Besatzern zusammengearbeitet haben, ganz oben auf der Liste jener stehen, an denen Vergeltung geübt wird. (Solmaz Khorsand aus Kabul, derStandard.at, 3.8.2010)